MaZ: Aqui, nós somos família!

Mit diesem Satz, der sich mit „Hier sind wir alle eine Familie!“ übersetzen lässt, beschreibt Marlene das Zusammenleben der kleinen Gemeinde in Casal de Cambra, in der sie ihren Freiwilligendienst absolviert. In ihrem Rundbrief erzählt sie von den ersten Wochen als Missionarin auf Zeit in Lissabon.

Marlene feiert mit den Schwestern der Kommunität in Lissabon Weihnachten

Direkt nach meiner Ankunft im November wurde ich herzlich willkommen geheißen und mit dem Satz „Aqui, nós somos família“ in die Gemeinschaft aufgenommen. Casal de Cambra liegt etwa nur 15 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums von Lissabon. Aber manchmal scheint es so, als wäre die Gemeinde eine eigenständige kleine Welt fernab von all den auf Hochglanz polierten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt Portugals. Oft kommt es mir so vor, als würde sich hier das echte Leben abspielen.

Casal de Cambra ist für mich ein sehr authentischer Ort, an dem sich niemand verstellen muss und jede*r angenommen wird. Die Menschen, die in meinem Viertel leben, kommen zum Großteil aus ehemaligen portugiesischen Kolonien. Viele stammen aus Guinea-Bissau, Mosambik oder Kap Verde, andere aus Angola oder São Tomé und Príncipe. Hinzu kommen einige portugiesische Familien, die Nationalitäten der Steyler Missionsschwestern, die aus Timor Leste und Indonesien kommen, und schließlich ich als deutsche Missionarin auf Zeit. Hier in Casal de Cambra sind zahlreiche Herkunftsländer vertreten. Aber so unterschiedlich die einzelnen Nationaltäten auch sein mögen, so groß ist das Gemeinschaftsgefühl, das die Menschen hier vereint.

Das darf ich vor allem bei den gemeinsamen Messen erfahren. Diese werden in der kleinen Kapelle St. Marta, die direkt neben den großen Wohnblöcken liegt, gefeiert. Schon jetzt nach knapp zwei Monaten gehört die Kapelle zu einem meiner Lieblingsorte. Denn die Gottesdienste sprühen vor Lebendigkeit. An Kirchenbesucher*innen mangelt es am Wochenende nie, sodass vor der Kapelle Plastikstühle und Hocker aufgestellt werden, damit jede*r einen Platz findet. Hier spielt es keine Rolle, dass beim gemeinsamen Singen jeder Ton perfekt sitzt. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Teilnahme und der Gemeinsamkeit. Für mich ist es eine sehr bereichernde Erfahrung, dass der Glaube hier so lebendig praktiziert wird.

Vor allem die Kinder spielen eine wichtige Rolle in der Gemeinde. Die drei Schwestern der Kommunität in Casal de Cambra, Schwester Marta, Schwester Maria und Schwester Delia, bereiten jeden Samstag Katechese-Stunden für die Mädchen und Jungen vor. Auch ich durfte bereits einige Male die Katechese-Gruppe der Sechs- bis Siebenjährigen übernehmen. Es bereitet mir große Freude, mit den Kindern Geschichten zu lesen, zu malen oder Gitarre zu spielen. Von den Kids kann ich lernen, ganz unvoreingenommen an die Sachen heranzugehen. Denn sie hinterfragen weder mein westliches Aussehen, noch mein holpriges Portugiesisch. Es kann so guttun, ohne Vorurteile in die Welt hinauszugehen und Offenheit, sowie Akzeptanz an den Tag zu legen.

Auch meine Arbeit in einer Suppenküche zeichnet sich durch das Miteinander von Personen verschiedener Nationalitäten aus. In der Einrichtung der Pfarrei São Nicolau arbeiten Freiwillige aus den unterschiedlichsten Teilen der Erde zusammen. Folglich sind pro Arbeitsschicht mindestens drei Nationen vertreten. Daher darf ich während der Arbeit auch den Geschichten aus Indonesien oder Angola lauschen.

Wie bereits erwähnt, wird die Suppenküche von der Pfarrei organisiert. Montag bis Freitag gibt es hier täglich ein Mittag- und ein Abendessen für wohnungslose Menschen. Die Aufgabe der Freiwilligen ist es, Lunchpakete vorzubereiten und diese an die Obdachlosen zu verteilen. Neben der Ausgabe der Brotzeit gibt es zweimal in der Woche eine Verteilung von Lebensmitteln an diejenigen Personen, die zwar eine Wohnung haben, sich jedoch die notwendigen Einkäufe nicht leisten können. Für diese Lebensmittel-Verteilung erhält die Pfarrei São Nicolau großzügige Spenden von einer Supermarktkette. Sowohl Trockenvorräte als auch Obst, Gemüse, Milchprodukte und Backwaren werden von den Ehrenamtlichen sortiert und auf die bedürftigen Familien aufgeteilt.

Anfangs hatte ich Berührungsängste und wusste nicht, wie ich am besten mit den Menschen, die die Mahlzeiten erhalten, umgehen sollte. Während einige Personen voller Dankbarkeit die Spenden entgegennehmen, beschweren sich andere über Ungerechtigkeiten jeglicher Art. Es ist schwer einzuschätzen, mit welcher Stimmung die Personen ankommen und wie sie auf mich reagieren. Ich habe mir vorgenommen, bei der Arbeit in der Suppenküche Respekt als einen der wichtigsten Werte zu betrachten. Das hilft mir dabei, meinem Gegenüber zuzuhören, aber auch meine eigenen Grenzen und die Regeln der Einrichtung zu wahren.

Abgesehen von all den wertvollen Begegnungen weiß ich auch das Flair Lissabons sehr zu schätzen. Spaziergänge entlang der belebten Flusspromenade oder durch die zahlreichen bunten und verwinkelten Gassen bringen mich jedes Mal aufs Neue zum Staunen. Geschweige denn die Palmen, die den Wegesrand säumen, und die beeindruckende Atlantikküste. Während ich diesen Bericht schreibe, sitze ich bei angenehmen 18 Grad in der Sonne, und das Anfang Januar. Lissabon ist die Stadt mit den meisten Sonnenstunden in Europa, weshalb die Hauptstadt Portugals auch als „Stadt des Lichts“ bezeichnet wird. Die vielen Sonnenstunden machen sich auch in der Mentalität der Einheimischen bemerkbar. Von der Geduld, der Sanftmut und der Ruhe der Einheimischen kann ich mir definitiv eine Scheibe abschneiden, besonders im Hinblick auf die spontane Zeitplanung. 

Für all die Erfahrungen, die ich hier schon sammeln durfte, bin ich sehr dankbar. Voller Vorfreude starte ich in das neue Jahr, denn die Zeit als MaZ bringt unheimlich viele Abenteuer mit sich. Seien es inspirierende Gespräche und spannende Geschichten aus allen Teilen der Erde oder aber die Überwindung von Berührungsängsten und Herausforderungen. Ich bin neugierig auf das, was die folgenden sieben Monate in Portugal für mich bereithalten.

Bis bald

Marlene