MaZ: „Das Jahr hat mich als Mensch wachsen lassen“

Mika ist am Ende seiner Zeit in Bolivien angekommen. In seinem Rundbrief gibt er einen Einblick in die letzten Wochen seines Einsatzes, schreibt über seinen Abschied von dem Land und den Menschen und erzählt, wie ihn das Jahr geprägt hat.

Die Zeit in Cochabamba war für mich wahrscheinlich eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Ich habe unendlich viele neue Menschen kennengelernt, die ich nun meine Freund*innen nennen darf. Seien es Bolivianer*innen oder andere deutsche Freiwillige. Die Vielfalt in Bolivien ist unglaublich groß. Ich glaube, dass diese Tatsache das Land so unbeschreiblich interessant macht. Es beginnt bei der starken Kultur, welche ich auch miterleben durfte. Und natürlich die Menschen, die mir ihre Geschichten anvertraut haben. Menschen, die mich geprägt und deren Erzählungen mich zum Nachdenken angeregt haben.  

Nun aber zu mir. Ich habe in der Fundacion Hilando Sueños gearbeitet. Sie liegt in einer der ärmsten Zonen Cochabambas. Die Fundacion ist eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche. Sie bekommen dort Unterstützung bei den Hausaufgaben und eine warme Mahlzeit. Trotz der hohen Armut, die diese Kinder tagtäglich erleben, hatten die meisten Kinder immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Das hat mich unglaublich fasziniert. Ich habe ein paar Mal mit meiner Chefin über die Lebenssituation der Kinder gesprochen und sie hat mir einige Fragen beantworten können. Der Großteil dieser Kinder, ca. 70 Prozent, lebt mit der ganzen Familie – manchmal sind das bis zu sieben Personen – in einem Raum. Viele haben keinen asphaltierten Boden, ebenso fehlt eine eigene Küche oder manchmal sogar fließendes Wasser. Dementsprechend haben die Familien auch keine Duschen und Toiletten. 

Als ich das erfahren habe, ist mir erst richtig klar geworden, wie unglaublich wichtig diese Fundacion für die einzelnen Kinder ist. Einige Kinder, die dort früher hingekommen sind, gehen jetzt zur Uni und schreiben gute Noten. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Kinder irgendwann auch was Großes erreichen können und werden. 

Über die Zeit habe ich die Kinder genauer kennengelernt und zugesehen, wie sie sich entwickelt haben. Das zu beobachten war sehr spannend für mich. In der Fundacion arbeitet auch eine Psychologin, die den Kindern und Jugendlichen bei der Lösung von Alltagsproblemen hilft. Zu Beginn meines Einsatzes haben sich zwei Brüder die ganze Zeit gestritten und einander geschlagen. Ihr Verhalten hat sich deutlich gebessert. Andere Kinder waren anderen Personen gegenüber sehr respektlos. Ein Kind hat beispielsweise ohne Grund auf der Straße eine Frau angerempelt. Auch hier konnte die Psychologin dem Kind neue Wege des Miteinanders aufzeigen. Die psychologische Arbeit habe ich hier also als sehr wichtig kennengelernt.

Das sind einfach alles sehr gute Menschen mit dem Herzen am richtigen Fleck. Zu meinem Abschied haben meine Chefin und meine Arbeitskolleg*innen mich zum Essen eingeladen. Typisch bolivianisch. In Bolivien gibt es auch aus jedem Teil Boliviens eigenes und anderes typisches Essen. Dementsprechend gibt es unzählige Gerichte. Für mich ist das beste „Planchita“. Das ist typisch für Cochabamba. Die Stadt wird auch als Hauptstadt des Essens in Bolivien betitelt. Während des Essens habe ich sie alle noch einmal von einer ganz anderen Seite erlebt und ich würde sagen, dass sie noch bessere Freund*innen dadurch geworden sind.

Der Abschied von den Kindern verlief auch mega schön. Ich habe vorher für die Kinder kleine Abschiedsgeschenke gekauft und hatte nicht wirklich damit gerechnet auch von den Kindern etwas zu bekommen. Wegen der Ferien konnte nicht so viele Kinder zu meinem Abschied kommen, aber die, die da waren, haben mir einen Stapel an Briefen geschenkt. Wahrscheinlich war das eine der schönsten und süßesten Aktionen, die sie gemacht haben. In diesen Briefen steht zum Beispiel, dass sie mich nie vergessen werden oder dass ich für einige der beste „Profe“ (Freiwillige) war, den sie je hatten. Andere Kinder haben mir eine Torte gekauft, die wir dann zusammen gegessen haben. Ich glaube, dass ich bis heute noch nicht richtig realisiert habe, dass dieses Kapitel in meinem Leben nun beendet ist. Ich war schon traurig, aber komischerweise kam es mir nie wirklich wie ein Abschied vor. Ich glaube, dass ich sie alle irgendwann in ein paar Jahren wiedersehen werde.

Der Abschied von meinen Freund*innen verlief anders. Ich habe sie eingeladen, mit mir in ein Restaurant zu gehen. Das war lustig und unvergesslich. Unvergesslich auch deswegen, weil ich mir an meinem letzten Tag in Cochabamba anscheinend einen Parasiten eingefangen hatte. Aber auch das gehört wohl dazu.

Bolivien ist ein Land, das ich niemals vergessen werde. Diese Zeit hat mich geprägt. Sei es, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben komplett allein gelebt habe und für mich sorgen musste. Oder weil ich nach einem Monat in einem Land alleine war, in dem die Landessprache nicht Deutsch oder Englisch ist. Mein Anfang hat sich als sehr schwer erwiesen, nachdem sich mein Mit-Freiwilliger nach dem ersten gemeinsamen Monat von mir verabschiedet hat und ich die darauffolgenden 3,5 Monate alleine in einem Dorf lebte. Die vielen Zweifel und die Einsamkeit, die ich in dieser Zeit überwunden habe, hat mich als Mensch wachsen lassen. Ich würde mich mittlerweile als sehr viel erwachsener beschreiben und viel reflektierter. Ich kann mir Fehler eingestehen, bringe den Mut auf, mich dafür zu entschuldigen, setze mich aktiver ein, meine eigene Situation zu ändern oder zu verbessern. Eine Fähigkeit, die ich als wichtig empfinde. Ich bin jedem Menschen und jeder Situation in dieser Zeit unendlich dankbar. Die schwierigen Zeiten, die mich zu dem gemacht haben, der ich jetzt bin und die tollen Zeiten, die mir die Schönheit Boliviens und die Vielfalt der Menschen gezeigt haben. 

Mika