MaZ: Die ersten Male

Dieser Rundbrief handelt von unzähligen ersten Malen: Vom ersten Mal in Sopachuy angekommen, zum ersten Mal das Haus durchstöbert, zum ersten Mal den Koffer richtig ausgepackt und der erste Versuch, sich einzuleben, zum ersten Mal die Messe besucht und mitgebetet, zum ersten Mal im Dorf eingekauft, zum ersten Mal gekocht und gespült, zum ersten Mal im neuen Bett geschlafen, zum ersten Mal die Kinder gesehen und mitgearbeitet, die ersten Feste in der Dorfgemeinschaft, bis hin zum ersten Strom- bzw. Wasserausfall. Kurz: vom ersten Mitbeten, Mitarbeiten bis hin zum ersten Einleben.

Am 5. September, ein Samstag, sind wir in Sopachuy angekommen und abends direkt mit in unsere erste Messe gegangen, um mitzubeten. Und obwohl ich nicht alles verstanden habe, hat mir die Predigt doch sehr gut gefallen, da der Padre (Priester) und die ganze Messe eine offene und einladende Art haben. Kurz nach der Messe haben wir Padre Alfredo kennengelernt, ein sehr netter Mann, der sogar etwas Deutsch sprechen kann.
Am Sonntag sind wir dann morgens wieder in die Messe gegangen, und wurden ganz offiziell von der Gemeinde willkommen geheißen. Der Padre hat uns kurz vorgestellt und die ganze Kirche hat applaudiert. Eine etwas unangenehme, aber doch sehr schöne Situation, denn jeder hat sich gefreut, dass wieder neue Freiwillige da sind. Einige der Kinder und Mütter sind nach der Messe auch noch persönlich zu uns gekommen, um uns in den Arme zu nehmen und zu begrüßen.
Dadurch habe ich mich zum ersten Mal angenommen und akzeptiert gefühlt.

Am gleichen Abend sind wir gemeinsam mit zwei der drei Schwestern und dem Padre zu einer Bewohnerin des Dorfes gegangen, die gerade dabei ist, einen Bibelkreis zu bilden. Selbstverständlich wurde für das leibliche Wohl mit Kaffee, Tee, Brot, Käse und Schnittchen gesorgt. Wie sollte es hier auch anders sein? Vor allem an Essen hat es uns bisher nie gefehlt, man wird von jedem eingeladen. Selbst von Menschen die viel weniger haben als man selbst, doch es auszuschlagen wäre unhöflich. Also esse ich ein paar Bissen und genieße die Nächstenliebe und Gastfreundschaft, die ich erfahren darf und die hier nicht einfach nur ein Wort bleibt.

Normalerweise besuchen wir jeden Samstagabend und Sonntagmorgen die Heilige Messe. Unter der Woche ist Padre Alfredo leider nicht allzu oft in Sopachuy, da er auch im Umkreis predigt. Aus diesem Grund ist es für mich was Besonderes, wenn wir unter der Woche die Messe, gemeinsam mit den Kindern besuchen können. Durch ihre kleinen Stimmen, die schon fast nicht mehr singen, sondern schreien, wird die gesamte Kirche ausgefüllt.
Jeden Sonntag vor der Messe sind wir zudem bei den Schwestern eingeladen, um gemeinsam mit ihnen die Laudes (Morgengebet) zu beten und zu frühstücken. Außerdem feiern wir sonntagsabends mit ihnen in ihrer "Klosterkapelle" die Vesper (Abendgebet).

Das erste Mitarbeiten in einem Wort: anstrengend. Aber in gleichem Maße auch wunderschön.
An sich beginnen unsere Arbeitstage immer damit, dass wir so gegen kurz vor 7 Uhr im Comedor, unserem Projekt, ankommen. Kurz danach stellen sich die Kinder auf, um in den Essenssaal (welcher Comedor heißt) zu gehen und gemeinsam mit uns das Frühstück einzunehmen. Dieses besteht aus einem selbst gebackenen Brot (manchmal mit Marmelade) und einem Tee oder Kakao. Dabei wird versucht auf Abwechslung zu achten.
Nachdem alle gefrühstückt haben, helfen wir der Köchin Doña Feli meistens dabei, Kartoffeln zu schälen und trommeln um kurz vor 8 Uhr die Kinder zusammen, um sie in die Schule zu schicken.

Bis um 13 Uhr haben wir dann eigentlich Freizeit. Allerdings helfen wir montags in dieser Zeit Doña Fanny beim Brotbacken und stehen "auf Abruf" bereit, falls unsere Hilfe bei irgendetwas benötigt wird. Außerdem nutzen wir diese Zeit zum Lesen, Einkaufen, Putzen, Wäschewaschen und Rundbriefe schreiben.
Wenn wir um 13 Uhr dann zum Comedor kommen, trudeln auch alle Kinder langsam aus der Schule ein und es wird gegen 13:30 Uhr zu Mittag gegessen. Das Mittagessen besteht meistens aus einer Suppe, da die Kinder in der Schule auch schon etwas zu essen bekommen und deswegen nicht mehr so viel Hunger haben.

Nach dem Mittagessen erledigen die Kinder dann ihre Hausaufgaben und lernen gemeinsam mit Luisa und mir das Einmaleins und lesen. Ich betreue dabei die Kinder der zweiten und dritten Klasse und teilweise auch einige Erstklässler.
Je nach dem, welcher Wochentag ist und wie schnell die Kinder ihre Hausaufgaben erledigt haben, dürfen sie, unter meiner Aufsicht, in den "sala de juegos" (Saal der Spiele) oder in den Park. Dazu haben wir nur leider nicht oft die Gelegenheit, da ich vom Mittag- bis zum Abendessen mit den Kindern lerne.
Die "Cancha" jedoch (ein großes Fußballfeld mit Toren, Basketballkörben und kleinen "Tribünen" zum Sitzen) steht ihnen jeder Zeit zur Verfügung, um zu spielen, wenn sie ihre Hausaufgaben schon erledigt haben und ich gerade mit anderen Kindern beschäftigt bin.

Gleich an unserem ersten Arbeitstag wurden wir natürlich voll eingespannt. Wir hatten zwar mehr oder weniger keine Ahnung, allerdings haben uns die Schwestern und auch die Kinder sehr geholfen und uns durch unseren ersten Arbeitstag geführt.
Das Anstrengendste aber auch Lustigste war dabei das Brotbacken mit Doña Fanny (alias "Funny"), einer Mitarbeiterin im Comedor, die ihrem Namen alle Ehre macht.

Aber schon sehr schnell habe ich eine gewisse Sicherheit und "Routine" gespürt. Zwar unterscheidet sich jeder Tag vom anderen, da ich mit anderen Kindern lerne oder generell andere Programmpunkte anstehen wie zum Beispiel in den Fluss baden zu gehen.
Von Routine könnte man hier also eigentlich nicht sprechen, doch in gewissen Dingen und vor allem der Sprache weiß ich nun schon viel besser Bescheid und spüre schon einen gewissen Alltag, den ich gemeinsam mit Luisa, meiner Mit-MaZ meistern kann.

So kommen wir schließlich zum Mitleben:
Bevor ich hier in Sopachuy angekommen bin, hatte ich tatsächlich etwas Bammel vor der Dusche. Natürlich ein "Vorzeigeluxusproblem" und wie sich heraus gestellt hat, außerdem völlig unbegründet. Ich hatte bis jetzt immer Glück mit dem warmen Wasser. Beim ersten Mal hat es zwar etwas länger gedauert, bis ich den Dreh raus hatte, aber nun funktioniert es wunderbar.
Der erste Wasserausfall, kam jedoch (für uns) überraschend. Wie wir nun wissen sind Wasserausfälle nach einem heftigen Regenguss hier nicht ungewöhnlich, eher "normal".

Unser Häuschen liegt eine Minute vom Busausstieg entfernt an einer kleinen Plaza (Platz). Und obwohl wir einen so kurzen Weg haben, kamen uns bei unserer Ankunft sofort einige Kinder entgegengerannt, um uns zu umarmen und willkommen zu heißen. Zum erstem Mal so viel Liebe und Lebensfreude von den Kindern erfahren zu haben, die einen ja noch gar nicht kennen, aber trotzdem genau wissen, wer man ist und was man hier machen wird.
Es ist schön zu wissen, dass man hier gebraucht wird und nicht nur geben wird, sondern auch von den Kindern so viel empfangen und lernen kann.
Unser Leben spielt sich tatsächlich fast nur im Comedor ab. Was für mich jedoch keineswegs negativ ist, denn die Schwestern, Mitarbeiterinnen und vor allem die Kinder sind tolle Menschen, mit denen ich sehr gerne meine Zeit verbringe.

Natürlich gibt es wie überall hier nicht nur schöne Seiten und ich möchte euch die Sachen die mir persönlich "negativ" aufgefallen sind auch nicht vorenthalten. Was bis jetzt tatsächlich nur eine einzige Sache ist: die Mülltrennung bzw. Entsorgung.
Die Mülltrennung bzw. Entsorgung des Mülls hat mich "etwas schockiert", denn Mülltrennung gibt es fast nicht, nur der Papiermüll wird, mehr oder weniger genau, vom Rest getrennt und das auch nur weil man ihn dann verbrennt.
In Cochabamba gibt es an allen öffentlichen Plätzen drei verschiedene Mülleimer nebeneinander (für Papier, Plastik und Restmüll). Soweit ich weiß, ist das eine Initiative der Regierung. Jedoch habe ich diese in Sucre vergeblich gesucht. Und auch hier im Dorf.
Bis jetzt habe ich mich noch nicht getraut unseren Papiermüll abzugeben, vor allem nicht, bevor nicht jedes Blatt fünfmal benutzt wurde und keine weiße Stelle mehr zu sehen ist.
Zwar gibt es, soweit ich weiß, in der Schule Aufklärung darüber, wie der Müll zu trennen wäre oder dass er überhaupt in einen Mülleimer gehört und nicht achtlos in die Umwelt geschmissen wird. Allerdings gibt es in Sopachuy keine öffentlichen Mülleimer, zumindest habe ich noch keine gesehen.
Außerdem habe ich von einer Lehrerin des Internates, welche auch sehr gut Deutsch sprechen kann, erfahren, dass der Müll der im Dorf eingesammelt wird, einfach in ein großes Loch in der Erde geworfen wird.

Und nun kurz zu den Festlichkeiten:
Neben einer Taufe, der Erstkommunion und den Gründungsfesten des Ortes und der Schule wurde auch Halloween gefeiert. Die Einwohner haben es sich nicht nehmen lassen, noch eine Parade aufzuführen. Dieses Mal allerdings abends, bei Dunkelheit. Denn jedes Mitglied der Parade hatte eine selbstgebastelte "Laterne", also eine aufgeschnittene Plastikflasche, welche mit hellblauem und weißem Papier verziert wurde (die Farben von Sopachuy) und mit einer Kerze versehen wurde.
Damit wurde wie bei den anderen Festen in aufgeteilten Gruppen an der großen Plaza vorbei marschiert.
Einen Tag später wurde Allerheiligen gefeiert.

Des Weiteren gibt es in Sopachuy das "Barrio Saarland" (dt.: Nachbarschaft Saarland). Dadurch fühle ich mich glatt ein Stückchen heimischer. Wie ich erst hier in einem weit entfernten Land erfahren habe, gibt es im Saarland einen Verein, die "Aktion 33", welche vor allem hier in Sopachuy sehr viel unterstützt und bewegt hat und es immer noch tut.


P.S.: Ich habe versucht euch diesen Bericht in die Bereiche Mitleben, Mitbeten und Mitarbeiten einzuteilen. Wie ihr vielleicht gemerkt habt, ist mir das nur mäßig gut gelungen.
Was mir nämlich unglaublich gut an unserem Projekt gefällt: Mitleben, Mitbeten und Mitarbeiten stellen keine drei getrennten Blöcke dar. Nein, es ist ein Projekt, ein Leben bzw. ein Jahr, was sich aus diesen drei Komponenten zusammensetzt und es wäre unmöglich einen davon wegzunehmen.
Mein momentanes Leben ist mit meiner Arbeit und diese mit dem Gebet verschmolzen. Und ich fühle mich bis jetzt doch sehr wohl mit meinen momentanen Lebensumständen und allem was dazu gehört.

- Lara