Der Dezember jedoch war für mich alles andere als friedlich – eine schwierige Zeit, in der ein negatives Ereignis das nächste ablöste und ihren traurigen Höhepunkt im Verlust meines Onkels fand. Es ist eine große Herausforderung, diesen Abschied fern von meiner Familie zu verarbeiten – in einem anderen Land, mit einer fremden Kultur und ohne die gewohnte Nähe meiner Liebsten. Doch solche Erfahrungen gehören auch zu einem Auslandsjahr, und ich möchte sie nicht ausklammern.
Gerade deshalb habe ich den Neuanfang mit dem neuen Jahr so herbeigesehnt. An Silvester verbrachte ich den Abend mit zwei Schwestern. Gemeinsam pflegten wir eine schöne Tradition, die ursprünglich aus Spanien stammt und die wir ein bisschen umgewandelt hatten: Wir aßen zwölf Trauben – jede steht für einen Wunsch oder Vorsatz für das neue Jahr. Einige dieser Vorsätze möchte ich hier mit euch teilen:
1. Umziehen
Zwei Wochen vor meinem Abflug nach Brasilien wurde klar, dass kein eigenes Zimmer für mich bereitstand. Nach etwas Druck von meinen Verantwortlichen wurde zumindest deutlich, dass nach einer Lösung gesucht werden musste. Das war meine erste Begegnung mit der brasilianischen Spontanität – als ich ins Flugzeug stieg und nicht wusste, wo ich am nächsten Tag schlafen würde. Zum Glück nahmen mich drei sehr liebe Schwestern auf, und ich teilte mir zunächst ein Zimmer mit einer von ihnen. In dieser Zeit wurde mir São Paulo gezeigt – der nächste Supermarkt, die nächste Bank, das Bahn- und Bussystem usw. Auch wurde ich bereits in die Arbeit eingearbeitet, da die Schwestern dort ebenfalls tätig sind.
Nach einer Woche zog ich – wieder einmal ganz spontan – zu einer Frau, die drei Häuser weiter wohnte und ein Zimmer frei hatte. Anfangs war ich einfach nur froh, ein eigenes Zimmer zu haben, weshalb es mich nicht störte, dass weder Internet noch Tageslicht vorhanden waren. Doch mit der Zeit merkte ich, wie sehr mir beides fehlt. Umso mehr freute ich mich, als mir im November eine eigene Wohnung im Haus der Schwestern angeboten wurde. Mittlerweile ist jedoch Januar, und ich werde immer wieder vertröstet. Neuer Termin für den Umzug ist nun Februar. Mein erster Vorsatz fürs neue Jahr ist daher, dass dieser Umzug endlich klappt – auch wenn es wohl wieder ganz spontan passieren wird.
2. Eigene Angebote auf der Arbeit schaffen
Ich arbeite im Centro de Integração do Migrante (CIM), einer Einrichtung, die Menschen mit Migrationshintergrund bei ihrer Integration unterstützt. Hier werden vielfältige Kurse angeboten, darunter Sprach-, Tanz-, Koch- und Informatikkurse sowie viele weitere Bildungsangebote. Zusätzlich gibt es kulturelle Aktivitäten, Beratung und praktische Hilfe bei behördlichen Angelegenheiten. Das CIM dient zudem als Begegnungsraum, der den kulturellen Austausch fördert und eine starke Gemeinschaft entstehen lässt.
Ein wichtiger Bestandteil des CIM ist auch die Betreuung von Kindern im Alter von vier bis zwölf Jahren. Ich arbeite hier mit einer Erzieherin zusammen, und unser Ziel ist es, den Kindern eine gute Mischung aus Lernen, Spielen und Sport zu bieten. Ab Ende Januar, wenn die Kinder aus den Ferien zurückkehren, plane ich, eigene Angebote zu schaffen. Dazu gehören ein Englisch- und DIY-Kurs für Erwachsene sowie feste Englisch-, Sport- und Kunstkurse für die Kinder. Das ist mein zweiter Vorsatz fürs neue Jahr.
3. Mehr Portugiesisch lernen
Als ich nach Brasilien kam, hatte ich kaum Portugiesisch Kenntnisse, was zu Beginn eine große Herausforderung war. Nach einem vierwöchigen Sprachkurs konnte ich zumindest die Grundlagen, doch die Sprache zu meistern, bleibt eine große Aufgabe. Herausfordernd ist zudem, dass viele meiner Kolleg*innen und fast alle Menschen, die ins CIM kommen, spanischsprachig sind. Besonders die Kinder, mit denen ich arbeite, lernen – genau wie ich – erst Portugiesisch. Das führt oft zu lustigen Missverständnissen, bei denen ich manchmal nicht sicher bin, ob mein Portugiesisch das Problem ist oder ihres. Zudem wurde mir kürzlich gesagt, dass mein Akzent stark an Spanisch erinnert. Das zeigte sich besonders deutlich, als eine Kassiererin plötzlich auf Spanisch antwortete, weil sie dachte, ich würde diese Sprache sprechen. Deshalb steht auch „mehr Portugiesisch lernen“ auf meiner Liste – mein dritter Vorsatz fürs neue Jahr.
4. Neue Tänze lernen
Im CIM wird ein Tanzkurs für traditionelle Tänze angeboten, an dem ich teilnehme. Dort habe ich bereits Tänze aus Brasilien, Bolivien, Paraguay und Venezuela lernen dürfen. Es macht großen Spaß, und ich freue mich darauf, noch viele weitere Tänze kennenzulernen – mein vierter Vorsatz.
5. Mehr von São Paulo sehen
São Paulo ist riesig – selbst ich als Kölner Stadtkind bin oft überwältigt. Die Stadt bietet unzählige Möglichkeiten, und obwohl sie vielleicht nicht die schönste Stadt ist, überrascht sie immer wieder mit versteckten Schönheiten. Es gibt so viel zu entdecken: spannende Sehenswürdigkeiten, aufregende Veranstaltungen und eine vielfältige Kulinarik. Natürlich werde ich in einem Jahr nicht alles erleben können, aber ich freue mich darauf, so viel wie möglich zu entdecken. Deshalb steht auch das auf meiner Liste fürs neue Jahr.
6. Mehr über die Kultur erfahren
Schon nach kurzer Zeit fallen einige kulturelle Unterschiede auf. Die Spontanität habe ich ja schon erwähnt. Als deutsche „Kartoffel“ bin ich eigentlich nicht gerne spontan, aber ich versuche, mich hier davon zu lösen. Das führt oft zu witzigen Situationen. Einmal zum Beispiel bin ich mit den Schwestern ins Kino gegangen, weil sie einen bestimmten Film sehen wollten. Als wir dann vor dem Kino diskutierten, welchen Film wir nun schauen wollten, war ich sichtlich verwirrt, warum wir unseren ursprünglichen Plan nicht einhielten. Alle mussten herzlich lachen, da mein „deutsches Ich“ richtig durchgekommen ist. Am Ende haben wir dann einen ganz anderen Film geschaut.
Auch die Zeit scheint hier anders zu laufen als in Deutschland. Zu spät kommen ist in vielen Fällen eher höflich. Aber egal, wie sehr ich versuche, mich an diese Lockerheit anzupassen, die Brasilianer sind IMMER später als ich. Wie sie das machen? Keine Ahnung! Einmal sollte ich die Schwestern zu einem Treffpunkt navigieren, und als wir punktgenau pünktlich ankamen, war ich doch ein wenig stolz auf mich. Allerdings wurde mir klar, dass wir viel zu früh waren, als wir die nächsten 45 Minuten auf die andere Person warteten. All diese Erlebnisse bringen uns oft zum Lachen und zeigen mir, wie bereichernd kulturelle Unterschiede sein können.
Diese Vorsätze begleiten mich in dieses Jahr voller Herausforderungen und Chancen. Ich freue mich darauf, weiter zu wachsen, Neues zu erleben und São Paulo immer besser kennenzulernen.
Feliz Ano Novo und auf ein spannendes Jahr 2025!
Veronika