Mich selbst und Gott erspüren. Durch Atmung.

Es gibt viele Wege, sich ganz auf sich selbst oder auf den eigenen Glauben zu konzentrieren. Die eigene Atmung kann ein gutes Hilfsmittel in der Meditation oder der Kontemplation sein.

Jeden Abend nehme ich mir ein paar Augenblicke Zeit. Zeit für Gott und für mich selbst. Manchmal sind das nur wenige Minuten, manchmal wird es eine halbe Stunde. Meistens liege ich bereits im Bett, auf dem Rücken, damit mein Atem entspannt und tief fließen kann. Dann versuche ich, den Atem in meinem Körper auch bewusst wahrzunehmen. Ich atme tief ein und beobachte, wie sich meine Brust und meine Bauchdecke heben, spüre, wie die Luft durch meine Nase fließt. Ich atme tief aus und achte darauf, wie sich meine Brust und meine Bauchdecke wieder senken und die Luft durch meine Lippen wieder entweicht. Ganz ohne Kontrolle, ganz ohne Zwang.

Ich atme wieder ein, wieder aus. Nehme wahr. Meine Atmung, meinen Körper. Nach einer Weile beginnen meine Gedanken abzuschweifen. Meistens kommen mir dann zuerst Probleme, Begegnungen oder sonstige Situationen in den Sinn, die ich an diesem Tag erlebt habe. Ich lasse meine Gedanken fließen wie Wolken am Himmel. Der ein oder andere Gedanke bleibt etwas länger hängen, während der Rest einfach vorüberzieht. Probleme finden dabei hin und wieder einen Lösungsansatz, verzwickte Situationen klären sich manchmal auf, Begegnungen wirken noch einmal nach. Was mich weiterhin beschäftigt, gebe ich an Gott ab. Ich vertraue darauf, dass Sie mich auf meinem Weg begleitet. Früher oder später kehre ich dann mit meiner Aufmerksamkeit zurück zu meiner Atmung. Nehme wieder wahr, wie sich mein Brustkorb mit Luft füllt und wieder leert, wie sich mein Bauch hebt und wieder senkt. Ich beobachte nun auch die kurzen Pausen, die zwischen dem Ausatmen und dem erneuten Einatmen entstehen, und die kurzen Pausen, in denen ich die Luft in meinen Atemwegen halte. Meine Atmung wird immer ruhiger, immer tiefer. Einatmen, Pause, Ausatmen, Pause. Einatmen...

Meine Gedanken schweifen wieder ab. Jetzt habe ich in meiner Seele Raum für alles Schöne, das mir an diesem Tag widerfahren ist. Ein Lächeln auf der Straße, ein Patient, der sich mit mir über seine Fortschritte freut, ein Sonnenstrahl, der den Nebel zerteilt oder einen Regenbogen bildet. Dafür danke ich Gott. Und erkenne dabei, dass Sie mir auf meinem Weg zur Seite steht. Was auch immer mich beschäftigt, was auch immer mir Schwierigkeiten bereitet, Gott ist bei mir. In den schönen Momenten des Lebens zeigt Sie mir: Ich lasse dich nicht allein. Mit diesem Gefühl wende ich mich wieder meiner Atmung zu. Stelle fest, dass ich nun sehr langsam, entspannt und tief in meinen Bauch hineinatme. Allen Stress, alle Ängste und Sorgen, alles, was sich dort angesammelt hat, bin ich losgeworden. Nun ist mein Bauch entspannt, die Atemmuskulatur locker. Ich atme noch einmal tief ein, nehme noch einmal wahr, wie sich Bauchdecke und Brustkorb heben. Nehme noch einmal die kurze Pause wahr, in der mein Körper den Sauerstoff aufnimmt. Dann atme ich noch einmal tief aus, beobachte, wie sich Bauchdecke und Brustkorb wieder senken. Fühle meinen Atem durch meine Lippen ausströmen. Mein Atem fließt weiterhin tief in meinen Bauch hinein, in genau dem ruhigen und konstanten Rhythmus, den Gott dafür bestimmt hat. Und ich schlafe mit einem Lächeln im Gesicht und der Gewissheit, nicht alleine zu sein, ein.

Ulrike Hagg

Dieser Artikel stammt aus dem in:spirit Magazin zum Thema "Bauchgefühl". Hier gibt's mehr Infos zu unserem Magazin.

Im Mai bietet in:spirit eine Einführung in das kontemplative Beten an.