MaZ: Ewiger Frühling und Allerheiligen

Ein weiterer Monat ist vorbei und es wird mal wieder Zeit für den nächsten Rundbrief. Wie ich ja bereits im letzten Rundbrief geschrieben habe, konnten Selina und ich leider nicht in dem Projekt bleiben.

 

Für uns ging es also erst mal in das Studentinnenwohnheim der Schwestern von San José, wo wir knapp drei Wochen mit den Studentinnen und den Schwestern zusammenlebten. Besonders gut ging es leider nicht los. Nur ein paar Tage nach unserer Ankunft wurden Selina und ich beide krank. Für Selina ging es nach einer Woche wieder aufwärts und ich wurde auch wieder gesund, nachdem man mir im Krankenhaus einen ganzen Haufen Antibiotika verschrieben hatte.

Als wir so weit wiederhergestellt waren, entdeckten wir mit den Studentinnen gemeinsam ein paar der schönsten Orte Cochabambas. Cochabamba wird auch die Stadt des ewigen Frühlings genannt, weil immer irgendwo Blumen oder Bäume blühen. Und besonders jetzt, da hier tatsächlich auch von der Jahreszeit her Frühling ist, findet man sich vor allem in den schönen und gepflegten Stadtparks in einem richtigen Blumenmeer wieder. Die Studentinnen zeigten uns auch einen besonders schönen Park in der Nähe, Parque Lincoln, in dem Selina und ich Sport machen gehen konnten. Allerdings war unser ehrgeiziges Fitnessprogramm für mich zum Scheitern verurteilt, denn während Selina mit beeindruckender Ausdauer Runde um Runde um den Park joggte, reichte mir meistens schon eine halbe Runde, dann setzte ich mich lieber auf die Wiese und lernte noch ein bisschen spanische Grammatik oder genoss das schöne Wetter.

Gemeinsam mit Zelma, einer der Studentinnen, lernten wir noch einen ganz neu gebauten Park, Parque Familiar, kennen, in dem man nachts die Aguas danzantes (die tanzenden Wasser) sehen konnte. Diese neue Attraktion in der Stadt bestand aus einigen Springbrunnen, die in Mustern Wassersäulen in die Höhe schossen und dabei von bunten Lichtern angestrahlt wurden. Bei ein paar der Attraktionen konnte man sogar in die Mitte des Springbrunnens kommen, bevor die Wassersäulen wieder aufstiegen und war dann von Wasser umgeben. Vom Spritzwasser wurde man zwar auch in der Mitte des Brunnens nass, aber die nasse Kleidung trocknete außerhalb des Brunnens schnell wieder.

Johanna, eine weitere MaZ, kam auch nach Cochabamba in die Sprachschule, bevor sie in ihrem Projekt loslegen konnte. Da wir gerade alle in Cochabamba waren, nutzten wir beide mit einer anderen Schülerin in der Sprachschule, Lydia, die Chance und machten einen Tagesausflug nach Incachaca, in den Nebelwald. Um zum Nebelwald zu kommen, mussten wir erstmal in den Anden nach oben, um dann auf der anderen Seite wieder runterzufahren. Wie immer hat die karge Andenlandschaft mit den Erden in allen denkbaren Farbtönen und den kleinen Pflanzen, die standhaft der starken Sonneneinstrahlung, Wind, Hitze und Kälte trotzen, etwas Beeindruckendes und Unberührtes.
Der Nebelwald selbst ist eine Art höher gelegener Dschungel. Dort gab es eine beeindruckende Vielzahl an Pflanzen. Es gab einiges zu sehen. Einen Wasserfall zum Beispiel, der direkt aus dem Berg kam und Velo de Novia, also Schleier der Braut, genannt wird. Die Garganta del Diablo (Kehle des Teufels) war ein ähnlich beeindruckendes Naturschauspiel, ein sprudelnder Fluss, der innerhalb des Berges floss. Einen idyllischen Dschungelfluss fanden wir auch noch, an dem wohl die unterirdischen Wasserbäche zusammennflossen. Alles in allem ein besonderes Erlebnis, dass sich auf jeden Fall gelohnt hat.

Am 20. Oktober hieß es dann wieder Abschiednehmen, denn wir hatten unsere Bleibe gefunden und zogen um in das neue Projekt. Huancarani, ein Dorf etwa eineinhalb Stunden mit dem Trufi (Kleinbus/Sammeltaxi) von Cochabamba entfernt. Dort bezogen wir eine Wohnung im Zentrum des Dorfes, in dem sowohl ein Zahnarztprojekt wie nun auch wir seinen Sitz haben.

Im Moment sind keine freiwilligen Zahnärzte da, aber im neuen Jahr kommen wieder Freiwillige, oft aus der Schweiz und Deutschland, die ein paar Monate in der Klinik arbeiten und die Menschen aus den umliegenden Dörfern behandeln. Vor allem in den ländlichen Regionen ist sowohl das medizinische als auch das Schulsystem nicht besonders gut. Deshalb hat sich die Schweizer Stiftung ProHuancarani hier eingesetzt und die Projekte ins Leben gerufen, die der Hilfe zur Selbsthilfe dienen.
Neben den Zahnärzten gibt es auch noch Pirwa, das Projekt, in dem Selina und ich die meiste Zeit verbringen werden. Bei Pirwa geht es darum, den Kindern kreativ Wissensinhalte zu vermitteln und ihre Eigeninitiative zu fördern, weil das vor allem in den Schulen in den ländlichen Gebieten oft zu kurz kommt. In den zwei Wochen, die ich inzwischen schon mit den Kindern zusammenarbeiten konnte, konnte ich schon einige Einblicke von dem Wochenablauf sammeln.
Pirwa geht von Montag bis Donnerstag. Die ersten eineinhalb Stunden machen die Kinder, die schon in die Schule gehen, Hausaufgaben. Einige Kinder gehen auch noch nicht in die Schule, sondern kommen aus Huancarani oder den umliegenden Dörfern. Oft sind es auch jüngere Geschwister der Schulkinder. Jeden Tag waschen sich alle Kinder die Hände, nachdem die Hausaufgabenzeit vorbei ist. Danach kommt das Tagesprogramm.

Am Montag wird immer gelesen. Die Kinder, die schon lesen können, lesen dabei leise für sich. Bei den kleineren ist es unsere Aufgabe, für sie vorzulesen. Dabei sind sie immer ganz enthusiastisch, wenn sie das Buch aussuchen dürfen und dann setzen sie sich im Halbkreis und warten, bis es zu Ende gelesen ist, um sofort wieder aufzuspringen und das nächste Buch zu holen.
Dienstag wird gemalt. In der vergangenen Woche durfte ich den Maldienstag schon selbst vorbereiten und Malvorlagen kopieren, die die Kinder dann begeistert mit Buntstiften gestaltet haben.
Am Mittwoch ist Basteln angesagt. Da sind alle Kinder begeistert dabei, auch wenn vor allem die Kleinsten im Umgang mit Schere und Leim hin und wieder noch ein bisschen Unterstützung brauchen.
Donnerstag gibt es kein spezielles Programm, sondern freies Spiel, wo die Kinder machen können, was sie wollen. Vor allem die Jungs spielen dann gerne Fußball, ein paar Kinder gehen auch in die Bibliothek, um zu lesen oder zu malen. Einige der Kleinsten sind auch sehr begeistert vom Memory-Spielen.
Zum Abschluss des Tages in der Pirwa setzten sich alle Kinder zusammen und veranstalten noch eine Runde ¿Que tal? (Wie geht’s). Dabei sagen die Kinder jeweils, wie sie sich fühlen und was sie an dem Tag gemacht haben. Ziel davon ist, dass sie lernen, sich öffentlich zu äußern und angehört zu werden.

Außerdem steht am Donnerstagmorgen für Selina und mich trabajo comunal an, die Gemeindearbeit. Dann gehen wir gemeinsam mit den Frauen des Dorfes auf die Felder, um zu säen, umzugraben und zu ernten. Diese Arbeit ist auch eine ganz besondere Erfahrung und bietet die Möglichkeit, mit den Frauen in Kontakt zu kommen, Spanisch zu sprechen und mehr über das Dorf und die Familien zu erfahren.
Außerdem haben wir mit unseren Verantwortlichen vor Ort hier geplant, dass wir Englisch- und Computerkurse geben werden. Daran zeigte die Gemeinde großes Interesse und nächste Woche können wir schon mit den Kursen loslegen.

Traditionell gab es diesen Monat auch schon ein Highlight. Am ersten November wird in Bolivien Todos Santos gefeiert, also Allerheiligen. Hier dient das Fest dazu, den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen und ihrer zu gedenken. Dazu habe ich mich mit den Schwestern und den Studentinnen getroffen, um das Fest vorzubereiten. Dazu haben wir süßes Brot geformt und gebacken. Der Tradition nach sollte das auch zum Gedenken der Verstorbenen sein. Normalerweise wird das Lieblingsgebäck oder Essen des Verstorbenen gebacken. Dann kommt die Familie zusammen und gemeinsam gedenken sie derer, die schon aus dem Leben geschieden sind. Es wird behauptet, dass die Seelen der verstorbenen Familienangehörigen an diesem Tag zu den Lebenden kommen, die ihrer gedenken.
Eine weitere sehr schöne Tradition sind die Grüppchen, die sich zu Todos Santos bilden, meistens Kinder aber auch einige Erwachsene. Die Häuser, die die Tradition mitmachen wollen, hängen schwarze Tücher an ihre Haustüren, dann betreten die Gruppen die Häuser und beten und singen für die verstorbenen Angehörigen in den Häusern, die sie meistens aber nicht mal kennen. Als Dank bekommen sie eine Tüte mit süßem Brot von den Bewohnern des Hauses. Dann ziehen sie weiter zum nächsten Haus, um auch dort wieder mit den Familien zu beten und zu singen.

- Anja