MaZ: Vermissen - hüben wie drüben

Ich muss mit Erschrecken zugeben, dass ich in meinem zweiten Halbjahr hier in Chile schreibfauler war als im ersten, aber ich kann mir auch gar nicht erklären, wo die Zeit hin geblieben ist.

Seit meinem letzten Rundbrief im März ist viel passiert, jedoch eher im Kleinen als im Großen, da vieles alltäglich ist. Wirklich groß und aufregend war der Besuch meiner Eltern Ende April. Es war sehr schön, jemandem zeigen zu können, wie ich hier lebe und arbeite, und sie haben mir gezeigt, wie angepasst an das chilenische Leben ich doch mittlerweile bin. Auch fiel uns auf, dass es etwas ganz anderes ist, selbst zu erleben und mit eigenen Augen zu sehen, als nur zu lesen und Fotos zu sehen.

Ich bin ganz erstaunt, wie gut man zwei Länder in einem Jahr kennenlernt. Chile ist mir in diesen Monaten sehr nahe gekommen und ich fühle mich sehr wohl hier mit seinen Menschen und ihrer Kultur. Doch natürlich eckt man auch an einigen Stellen an, wenn man so eng beieinander lebt. Und was ich nicht erwartet hatte, ist, dass ich hier so viel über Deutschland, seine Menschen und Kultur sowie Systeme lernen würde. Mir fallen jetzt Eigenschaften und Züge an meiner eigenen Kultur auf, die mir nicht so bewusst waren.
Eine Entwicklung, die dazugehört, ist zum Beispiel auch, dass wir Freiwilligen bis vor ungefähr zwei Monaten immer nur aufgezählt haben, was uns aus Deutschland fehlt, und wir aber jetzt, wo die Zeit langsam tickt, anfangen, uns Gedanken zu machen, was wir in Deutschland aus Chile vermissen werden, und das ist mindestens genauso viel.

In den letzten Monaten in der Sala Cuna sind meine Babys gewachsen. Mittlerweile krabbeln die meisten und eine Handvoll übt sich sogar schon im Laufen. Mit meinen Tias lache ich sehr viel und teile meine Kuchenrezepte, da Chilenen nicht so gut backen können. Im Gegenzug bringen sie mir dann andere Dinge bei wie zum Beispiel "Sopapillas pasadas", ein typisch chilenisches Gericht. Mit den anderen beiden Freiwilligen machen wir viele Aktionen mit den Kindern. Wir haben zum Beispiel einen Fühlpfad gebaut, Ostereier gesucht, getanzt und haben eine Akrobatikvorführung präsentiert.

Ich kann mir gar nicht vorstellen, in nur fünf Wochen schon ohne meine Bebes nach Hause zu fliegen. Einige habe ich jetzt fast ein Jahr in ihrer Entwicklung vom Säugling zum Kleinkind begleitet und es fällt mir sehr schwer zu gehen in dem Wissen, bei ihren nächsten Entwicklungsschritten nicht mehr dabei zu sein. Trotzdem freue ich mich auch sehr auf zu Hause und das Studium, welches Ende September beginnen wird.

Ich denke, ich fliege im August mit zwei bitterlich weinenden Augen in Chile ab und lande mit zwei lachenden am Ende der Reise in Deutschland. Bis dahin bleiben mir zum Glück aber noch fünf ganze Wochen, die ich bis zum Ende genießen werde.

- Kathrin