MaZ: Wenn Generationen und Kulturen aufeinandertreffen

Weil die Schule, in der Larissa in Bangalore (Indien) mitarbeitet, Sommerferien hat, zog sie mit Sack und Pack ins benachbarte Altenheim. Was sie dort erlebt hat, schildert die Missionarin auf Zeit in ihrem neuesten Rundbrief.

Mitte April war es soweit: Die Schulsommerferien im indischen Bundesstaat Karnataka begannen. Alle 17 Mädchen des Kinderheims, in dem ich mitarbeite, sind voller Freude nach Hause zu ihren Familien gefahren. Ehrlich gesagt, fiel es mir schwer, mich mit ihnen zu freuen, da der Campus ohne ihre lautstarke Präsenz sehr leer schien. Nach einer Besprechung mit meiner Mentorin wie ich die nächsten sechs Wochen am besten nutzen konnte, bis die Schulen wieder öffnen, entschied ich mich über Ostern noch im Provinzhaus zu bleiben, da meine Familie mich für eine Woche besuchen kam. Nach einer Woche des intensiven Austauschs, Sightseeings und Osternfeiern mit meiner Familie und der Schwesterngemeinschaft packte ich meine kleine Sammlung an Churidas/Kurtis (indische Oberteile, die häufig bis zu den Knien gehen und bunt bemustert sind) in den schon staubig gewordenen Backpack und lief mit Sack und Pack rüber zum Altenheim, um mein vormittägliches Arbeitsprojekt für drei Wochen in ein Vollzeit Mitlebeprojekt umzuwandeln. Was mich immer wieder bewegt, ist wie sehr sich hier die Menschen für mich/mit mir/über mich freuen. Zum Einen hatte ich das Gefühl, dass die Freude der Schwestern über den Besuch meiner Familie fast größer war als meine eigene, da ich vier Wochen vor ihrer Ankunft bereits täglich von ihnen daran erinnert wurde und sie alle Anteil genommen haben. Zum Anderen kam es zur der Gegebenheit, dass ich im Altenheim nach zwei Wochen von einem Zimmer ins andere ziehen musste, und  als einige Bewohner sahen, wie ich meine Tasche packte, haben sie sich solche Sorgen gemacht und waren sichtlich erleichtert, als ich erklärte, dass ich nur das Zimmer wechselte und ja noch eine Woche hier wohnen bleiben würde. „Nur noch eine Woche!“ hieß es dann. Immer wieder, wenn ich diese Freude spüre, habe ich das Gefühl, dass die Menschen, mit denen ich hier mitarbeite, mitlebe und mitbete, nicht nur mich bewegen, sondern dass ich sie ein Stückweit umgekehrt auch bewege, dass es ein gegenseitiger Dialog sein kann und ist.

 

Im Holy Spirit Home treffen in fast jedem Zimmer zwei Generationen, zwei Kulturen, zwei sehr unterschiedlich geprägte Menschen aufeinander. Es gibt den Senioren, der viele Erfahrungen des Lebens bereits gesammelt hat, oft studiert und im Ausland gearbeitet hat, Englisch spricht, aus der bessergestellten städtischen indischen Mittelschicht stammt und auf die Hilfe seines Zimmerpartners, seines Pflegers angewiesen ist. Denn im Bett neben dem Senioren schläft der Angestellte, der jung ist, oft gerade mal volljährig, aus einer ländlicheren und ärmeren Region Indiens kommt, meist weiblich ist und voller Hoffnungen mit wenigen Englischkenntnissen sich in den Zug nach Bangalore gesetzt hat, um zu arbeiten, Geld zu verdienen, um dies – nicht selten stolz – nach Hause zu schicken.

 

Offensichtliche Herausforderungen bei diesem Zusammenleben ist die Sprachbarriere zwischen dem Bewohner und dem Angestellten, bei einigen klappt es gut mit Hindi, andere sind auf ihre Kreativität bei der nonverbalen Kommunikation angewiesen. Aber auch wenn es sprachlich bei einigen besser klappt, als bei anderen, gibt es weitere Hürden: die gegenseitige Angewiesenheit, die eigenen Frustrationen, die in Alltagsmeckereien formuliert werden. Viele der Bewohner sind nicht gerne in das Altenheim gekommen, auch sind viele psychisch erkrankt, hingegen haben die jungen unerfahrenen Altenpflegerinnen auch mal Heimwehanflüge, denn die Sprache, Umgebung, das Essen ist zum Teil sehr anders als in der Region, aus der sie kommen. Zwischen diesen zwei Stühlen oder besser gesagt zwei Betten in jedem Zimmer stehe ich dann oft. Zum einen gilt es dem Bewohner zuzuhören, seine Krankheit, seine Schmerzen, seine Vergangenheit zu verstehen. Zum anderen versucht man die Angestellten zu ermutigen, sich mit seinem jeweiligen Patienten, auch wenn mit Händen und Füßen, auszutauschen. Manchmal müssen auch Missverständnisse, die nicht selten durch die Sprachbarrieren entstanden sind, geklärt werden. Hierbei bin ich nicht unbedingt die Person, die das Missverständnis klärt (dafür ist meine eigene Sprachbarriere zu groß), aber durch meine gleichwertige Beziehung zu beiden Personen, ist es mir manchmal möglich, den Schwestern mitzuteilen, dass es Probleme gibt oder eine zweite Perspektive zu geben und so den Angestellten etwas in Schutz zu nehmen.

 

Bewundernswert bei der Beziehung zwischen vielen Bewohnern und Angestellten finde ich aber auch, wie schnell die neuangekommenen Mädchen sich an den neuen Alltag anpassen und sich gegenseitig helfen, genauso wie viele Bewohner daran interessiert sind, dass ihre Angestellten Englisch lernen, glücklich sind und kein Heimweh haben. Hierbei hat die gegenseitige Abhängigkeit wieder ein Vorteil. Der Bewohner möchte möglichst lange einen guten und zufriedenen Angestellten behalten, genauso wie der Angestellte genügend Geld verdienen möchte, sodass sich der weite und teure Umzug nach Bangalore gelohnt hat. Mein kleiner Beitrag zum Gelingen dieser generationen- und kulturübergreifenden Beziehung, ist die Freizeitbeschäftigung von den Bewohnern und das Angebot des Englischunterrichts für interessierte Angestellte.

Eine Aktivität, die die Bewohner des Altenheims sehr berührt hat, war das Töpfern. Eine Künstlerin von außerhalb ist als Freiwillige ins Heim gekommen, um den Bewohnern zu erklären, dass sie heute so wie in der Bibel töpfern werden: „Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände.“ (Jes 41, 25)

Larissa -