MaZ: „In Taiwan duftet es nach Leben!“

Wiebke lebt seit fast acht Monaten als Missionarin auf Zeit bei den Steyler Schwestern in Taiwan. Von krassen Gegensätzen, anstrengenden Tai-Chi-Momenten und warum sie über die Hilfe von Erstklässler*innen froh ist, schreibt sie in ihrem Rundbrief.

Als ich vor einem Jahr Leuten davon erzählte, dass ich einen Freiwilligendienst in Taiwan machen will, bekam ich häufig zu hören „Ach Thailand, wie schön, da wollte ich auch schon immer mal hin.“ Erst nachdem der Begriff „Taiwan“ immer mal wieder in den deutschen Nachrichten fiel, erkannten sie, dass es sich um zwei verschiedene Länder handelt. Ich gebe ja zu, dass Taiwan, mit einer Fläche so groß wie Baden-Württemberg, auf der Weltkarte schnell zu übersehen ist, doch im Falle Taiwans verspreche ich, dass es sich lohnen wird, mal genauer hinzuschauen.

Denn die kleine Insel hat viel zu bieten. Sie ist nicht nur ein Zuhause für rund 23 Millionen Menschen, sondern Taiwan ist auch eine der wichtigsten Exportnationen der Welt. Außerdem besticht Taiwan durch seine kulturelle und landschaftliche Vielfalt. Hier kann man Strand, Berge, Hochhäuser und Wald auf nur einem einzigen Foto vereinen.

Diese Gegensätze findet man nicht nur in der Landschaft, sondern auch in der Gesellschaft. Zum einen ist Taiwan durch seine wirtschaftlichen Erfolge vor allem in den Städten sehr westlich geprägt. Riesige Wolkenkratzer reihen sich dicht nebeneinander, der Verkehr steht nie still auf den sechsspurigen Straßen und Menschen mit Anzügen und Aktentaschen suchen sich geschäftig den Weg durch die Menschenmassen. Überall blinken Leuchtreklamen, Werbeposter mit westlich aussehenden Models und die Schilder amerikanischer Marken. Alles ist laut, bunt und turbulent.

Kommt man dagegen aufs Land, fühlt es sich wie ein anderes Jahrhundert an. Man sieht kleine Gärten und Felder, wo Obst und Gemüse angebaut werden. Je nach Lage auch Tee oder Reis. Mittendrin stehen Menschen mit spitzen Strohhüten und gehen ihrer täglichen Arbeit nach. Es ist still, die Luft ist frisch und die Bewohner*innen grüßen freundlich, wenn man ihnen begegnet.

Inmitten dieser Vielfalt lebe ich nun also. Die Steyler Schwestern haben zwei Kommunitäten hier. Eine in Taipeh, der Hauptstadt, und eine in Hsinchu, circa 80 Kilometer entfernt von Taipeh. Ich wohne mit bei den Schwestern in Hsinchu, bin aber auch immer mal wieder bei den Schwestern in Taipeh zu Besuch.

Jeden Tag nehme ich an den Gebeten der Schwestern teil. So beginnt jeder Tag für mich mit der Messe um 6.20 Uhr. An das frühe Aufstehen habe ich mich mittlerweile gewöhnt, auch die Antworten im Gottesdienst kann ich nun schon auf Chinesisch mitbeten. Abends wird dann zum Glück auf Englisch gebetet, sodass ich da sogar etwas verstehe. Nach dem Beten essen wir gemeinsam...mit Stäbchen natürlich. Hier wird wirklich alles mit Stäbchen gegessen, sogar das Eis oder der Kuchen. Das hat anfangs erstmal ein Problem für mich dargestellt, doch mit der Zeit wurde die Trefferquote des Essens, das beim ersten Versuch in meinem Mund landete, immer höher.

Seit meiner ersten Woche hier, besuche ich die 1. Klasse der katholischen Grundschule. Dort verbringe ich zusammen mit meinen 45 Mitschüler*innen die erste Schulstunde und versuche jeden Tag ein kleines bisschen mehr zu verstehen. Das ist gar nicht so einfach, denn abgesehen davon, dass Chinesisch ohnehin schon ziemlich schwierig zu lernen ist, spricht die Lehrerin auch unglaublich schnell.

Glücklicherweise kann ich mich immer auf meine Sitznachbar*innen verlassen, die mir jedes Mal die richtige Seite im Buch aufschlagen und mich korrigieren, wenn der eine Strich im Schriftzeichen nicht die richtige Länge oder den richtigen Winkel zu den anderen Strichen hat.

Neben der Grundschule gehört auch noch eine High-School zu den Schwestern, in der ich auch ein bis zweimal die Woche bin. Dort gebe ich Deutschunterricht, singe im Chor und helfe manchmal beim Backunterricht aus. Bei besonderen Ereignissen der Schule bin ich auch immer mit dabei und vertrete die Schwestern.

Die Kommunität in Taipeh ist an eine katholische Universität angeschlossen, sodass ich, wenn ich dort bin, mit vielen Studierenden zu tun habe. Die Schwestern bieten jede Woche verschiedene Aktivitäten an, an denen die Studierenden teilnehmen können, bei denen ich mithelfe. Diese nennt sich „World kitchen, World peace“. Dabei wird immer etwas Einfaches gekocht oder gebacken, jede Woche kommt das Rezept aus einem anderen Land. Anschließend wird noch etwas über das jeweilige Land erzählt und ein Gebet gesprochen. Da die meisten Taiwanes*innen nicht christlich sind, fällt das Gebet immer recht kurz und allgemein aus, damit jede*r etwas damit anfangen kann.

Seit einigen Wochen mache ich jetzt auch Tai-Chi. Dabei handelt es sich um eine im Kaiserreich China entwickelte Kampfkunst, die über wahnsinnig viele Ausprägungsformen verfügt. Heutzutage wird sie aber fast ausschließlich dafür genutzt, Körper und Seele fit zu halten. Die Bewegungen werden sehr langsam und mit sehr großer Präzision ausgeführt, aber bleiben trotzdem immer in einem Fluss, sodass es sehr galant wirkt. In dem Park gegenüber der Kommunität schloss ich mich einer aus Rentner*innen bestehenden Tai-Chi-Gruppe an, die mich freudig aufnahmen. Das ganze Training geht zwei Stunden: Eine Stunde Erwärmung, eine Stunde Tai-Chi-Choreografie. Nach der ersten halben Stunde war ich schon komplett fertig...Die „Aufwärmübungen“ glichen eher einem Pilates-Workout und ich als die einzige Untrainierte konnte mit den über 65-Jährigen kaum mithalten. Als es dann zu den Choreografien kam, war ich ganz raus. Viel zu viele Körperteile, auf die man gleichzeitig achten musste und die man auch alle gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen bewegen musste. Nach dem ersten Treffen hatte ich erstmal drei Tage lang Muskelkater. Das nächste Mal war dann aber schon deutlich leichter. Die Fitnessübungen überstand ich, ohne wackelige Beine zu bekommen und die Choreografie wurde mir in langsamen Schritten erklärt. Jedenfalls verstehe ich jetzt, warum man erst nach mehreren Jahrzehnten Tai-Chi-Lehrer*in werden darf...

Jetzt gerade ist der Frühling hier so richtig ausgebrochen. Wenn man durch die Straßen läuft, riecht es jedes Mal ganz blumig. Generell liebe ich es, das Land durch die unterschiedlichen Gerüche zu erkunden. Manchmal riecht es aus den Straßenküchen nach heißem Fett oder nach fremden Gewürzen, kommt man an einer der vielen Baustellen vorbei, riecht es nach den Zigaretten der Bauarbeiter*innen, wieder an einer anderen Straßenecke verfolgt einen der Duft von Räucherstäbchen, die ununterbrochen in kleinen Tempeln verglühen. Manchmal muss ich kurz die Luft anhalten, zum Beispiel wenn ich einen Stand, der Stinketofu verkauft, passieren muss, oder wenn an der Ampel ein Schwarm von Motorollern losfährt und eine Qualm Wolke zurücklässt. Aber ob nun guter oder eher weniger guter Geruch: Auf den Straßen Taiwans duftet es nach Leben und ich bin jeden Tag aufs Neue froh, wenn auch nur für ein Jahr, ein Teil dieses Lebens sein zu dürfen.

Wiebke