Die Luft ist rein

Wanderexerzitien

in:spirit ging in diesen Tagen im wahrsten Sinne des Wortes neue Wege: Eine Woche lang wanderte eine Gruppe junger Frauen durch die Sonthofener Bergwelt. Das neue Angebot kam an. Eine Teilnehmerin schildert eindrücklich ihre Erfahrungen

Das Tal ist erfüllt vom lauten, ungeheuer vielschichtigen Geräusch der Kuhglocken. Am Hang gegenüber laufen Kühe und Pferde wie Ameisen über den gewellten, hügeligen Boden, dazwischen vereinzelt ein Mensch – eine weite Wiese, ausgebreitet unter einem struppigen Wald, dahinter der Felsen. In den Gipfeln hat sich ein Nebel verfangen.

Vor dieser Wand, auf der alles wie Spielzeug angeordnet wirkt, sitzen wir selbst sehr klein, auf Thermo-Sitzkissen, unseren Rucksäcken oder Regenjacken, im morgennassen Gras, zwischen Büscheln und Disteln, eingepackt in Fleece und Daunen. Die Sonne scheint hell auch durch geschlossene Augen und wärmt die Gesichter. Eine leichte Brise kräuselt ein paar Haarsträhnen über die Haut. Eine Stunde sitzen wir hier und versuchen, uns behütet und aufgehoben zu fühlen. In dieser Weite hat alles Raum, was uns ausmacht. Im Kessel des Tals ist alles beschützt.

Wie fast an jedem der drei Tage wird sich der Nebel lichten. Der Himmel reißt auf, und die Landschaft zeigt sich in völlig anderen Farben als vorher. Jede Kurve – und es gibt viele davon – ergibt ein neues Bild, eine neue Kulisse für das, was uns den Tag über beschäftigt: ein Hang mit vielen Baumstümpfen. Ein schmaler Grat bis zu einem begehrten Gipfelkreuz. Eine Rast weit oben, auf einer Insel braungrünen Grases, umgeben von einem Meer aus Nebel. Vielfach gewundenes Wurzelwerk, das Stufen bildet. Geröll, das sich unter unseren Füßen lockert. Kleine Stege über winzige Bäche. Wir hören das Klacken unserer Bergstecken und sonst oft genug nichts. Wir schweigen und beschäftigen uns am ersten Tag mit der Berufung des Mose, am zweiten mit der Heilung eines Blinden bei Jericho, am dritten mit dem Gleichnis vom Sämann.

Na gut, okay, wir schweigen nicht immer. Jede hat ihren Laber-Flash. Wir wispern uns zu, dass die Seife auf dem Klo der Alpe nach Zitronenmelisse duftet und unterhalten uns mit Hühnern und Kamerun-Schafen. Wir fragen unsere Wanderführerin Magdalena oft genug nach Weg, Natur oder den Hirschröhrereien. Bettina führt begleitende Gespräche zu allen möglichen Zeitpunkten. Wir tauschen Brote und Riegel aus und verteilen Schokolade, was alles mega schmeckt, wenn wir Wanderpause machen, ziehen uns ständig diverse Kleidungsschichten an und aus und schaffen es durch gute Verabredungen, dass absolut jede immer eine warme Dusche kriegt, obwohl es eigentlich kein fließendes warmes Wasser gibt, aber irgendwie dann eben doch.

Wir spielen abends Spiele wie Quiks und ein selbstgemachtes „Tabu“, trinken Radler, Bier und manchmal auch Schnaps und lachen uns gegenseitig unter den Tisch. Wir sind alle elf wirklich alle immer meistens sehr humorvoll gestimmt. Wir sind nur Frauen, was jetzt keine Absicht war, was aber auch nicht schadet. So ist zum Beispiel die Sache mit dem gemeinsamen Schlaf- und Waschraum wesentlich unkomplizierter. Nach den vier, fünf Tagen sind wir bemerkenswert zusammengewachsen. Uns liegt aneinander.

Vor der Abfahrt kommen die Hüter der Naturfreunde-Hütte, rechnen die Getränke ab und werkeln und hämmern weiter am Eingangsbereich herum. Wir entfernen uns ein Stück auf eine nahe gelegene, offene Wiese. Unser letzter Impuls ist das Gleichnis vom Schatz und der Perle. Und ein Segensgebet.

In der Weite und Wärme packen wir ein letztes Mal mit den anderen aus und wieder ein, was uns wertvoll geworden ist, um es im Stillen nach Hause mitzunehmen. Wir behüten es und heben es auf. Wir sind gewachsen. Vielen Dank euch, Bettina und Magdalena, für Begleitung, Geist und Tiefe. Es war toll.

Text: Christiane E.
Fotos: Julia K. und Christiane