Veni Creator Spiritus

Wie klingt es?

Wortlaut

 

1. Komm, Heil’ger Geist, der Leben schafft,
erfülle uns mit deiner Kraft.
Dein Schöpferwort rief uns zum Sein:
Nun hauch uns Gottes Odem ein.

2. Komm, Tröster, der die Herzen lenkt,
du Beistand, den der Vater schenkt;
aus dir strömt Leben, Licht und Glut,
du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.

3. Dich sendet Gottes Allmacht aus
in Feuer und in Sturmes Braus;
du öffnest uns den stummen Mund
und machst der Welt die Wahrheit kund.

4. Entflamme Sinne und Gemüt,
dass Liebe unser Herz durchglüht
und unser schwaches Fleisch und Blut
in deiner Kraft das Gute tut.

5. Die Macht des Bösen banne weit,
schenk deinen Frieden allezeit.
Erhalte uns auf rechter Bahn,
dass Unheil uns nicht schaden kann.

6. Lass gläubig uns den Vater sehn,
sein Ebenbild, den Sohn, versteh’n
und dir vertrau’n, der uns durchdringt
und uns das Leben Gottes bringt.

7. Den Vater auf dem ew’gen Thron
und seinen auferstand’nen Sohn,
dich, Odem Gottes, Heil’ger Geist,
auf ewig Erd‘ und Himmel preist.

Amen.

Hrabanus Maurus

Was steckt dahinter?

Geschichte und Theologie

Dieser Text ist ein Pfingsthymnus, das heißt ein feierliches Lied, das – gesprochen oder gesungen – darum bittet, dass auch heute, immer noch und immer wieder, GOTTES Geist so das Leben der Betenden erfüllen möge, wie es von den Jünger*innen Jesu nach seiner Auferstehung überliefert wird. Der Hymnus ist deshalb in der ganzen Kirche wichtig und wird immer wieder gebetet: zu Pfingsten, bei wichtigen kirchlichen Ereignissen und Versammlungen, bei denen es um wichtige Entscheidung geht, wie zum Beispiel Konzilien und Ordenskapiteln, bei Priester- und Bischofsweihen, bei Ordensprofessen – und in vielen Steyler Kommunitäten mitten im Alltag oder zu Beginn jedes neuen Tages.

Was haben Menschen mit dem Heiligen Geist zu tun?

Der Hymnus betont die enge Verbindung, in der die Menschen zur Heiligen Geistkraft stehen: Sie ist es, die die Menschen geschaffen hat, die ihnen Lebensatem eingehaucht hat und die sie nun jeden Tag mit Lebenskraft erfüllt. Das bezieht sich auf alle Aspekte des Menschseins: das Denken, die Gefühle, die körperliche Verfasstheit: ganzheitliches heiliges Wirken, ohne das alles nichts ist. So ist das Bitten, der Heilige Geist möge kommen, zuerst ein Bekenntnis zu Gott und seiner Schöpferkraft. Dann wird es verbunden mit der Hoffnung, diese Kraft möge so neu erfahren werden, dass sie von innen heraus stark mache – heute und jeden Tag!

Mit dieser lebensspendenden Kraft sind die Menschen GOTT seelenverwandt, man könnte sagen geistverwandt. Denn die Betenden sind für GOTT keine Fremden, sie sind schon längst in seinem Herzen: von Anbeginn der Schöpfung an. Indem sie beten: „Komm, Heiliger Geist!“, öffnen sie ihr Leben, ihr Herz, ihr Denken, ihre Wahrnehmung für GOTT und laden ihn ein, bei ihnen zu sein. Die kirchliche Tradition kennt dafür das Bild vom Menschen als Tempel Gottes: ein Heiliger Raum, den GOTT selbst erschaffen hat, und in den er sich gern einladen lässt, um darin mit seinem Geist zu wirken, zu heilen, zu bleiben. So gelingt es, dass das Bitten „Komm, Heiliger Geist!“ nicht mit Magie zu verwechseln ist, die versucht, den Geist verfügbar zu machen. Er bleibt Gnade, das heißt Geschenk.

Was genau bewirkt diese Heilige Geistkraft nun?

Ihr Wirken und ihre Erscheinungsformen werden im Hymnus wenig konkret, aber in umso vielfältigeren Bildern beschrieben:

 

 

Dabei hat die Heilige Geistkraft die besondere Eigenschaft, scheinbare Gegensätze zu überwinden, Festgefahrenes aufzubrechen und Ungeahntes entstehen zu lassen. Diese besonderen Wirkungen bündeln sich im Bild vom göttlichen Atem. Aber was soll das sein und was kann man damit konkret anfangen? Atem GOTTES kann zum einen Geist als Heilige Geistkraft GOTTES bedeuten, zum anderen Atem, Seele, Lebenshauch – das, was jeden Menschen am Leben hält. Genau dieser Atem ist es auch, der in der Bildsprache der biblischen Schöpfungserzählung den Menschen eingehaucht wird, ein Funke GOTTES, der sie erst zu Menschen macht.

Was bedeutet das konkret?

Ursprünglich hatte der Hymnus Veni Creator Spiritus wohl nur sechs Strophen. Das war jedoch so ungewöhnlich in der Tradition lateinischer Hymnen, dass im Laufe der Zeit die „fehlende“ siebte Strophe hinzugefügt wurde. In dieser siebten Strophe geht es traditionell um eine Anrufung GOTTES in der dreifältigen Form: als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Was wäre aber, wenn der Verfasser des Hymnus' diese Lücke am Schluss ganz bewusst gelassen hätte – als offenes Ende, das dem Wirken des Geistes alle Tore öffnet, ihn einlädt, weiterzuwirken in der Stille, im Nachhall des Hymnus', im ganzen Leben?

Die Steyler Missionsschwestern sind gemäß ihrem Ordensnamen Dienerinnen des Heiligen Geistes. Der Pfingsthymnus könnte also so etwas wie die Nationalhymne sein, wenn es das für Orden gäbe. Diener*in des Heiligen Geistes zu sein, kann heißen: Beim Aufstehen tief ein- und ausatmen – und spüren: Gott atmet in mir. Überall suchen nach den zarten Goldspuren, die GOTTES Geist in der Welt hinterlässt. Und an schweren Tagen frei heraus seufzen: ach, komm, Heiliger Geist! Belebe, stärke, heile! Dieses Atmen, Suchen, Seufzen kann man üben – es ist ein alltägliches Gebet. Und das gilt nicht nur für die Schwestern.

Wie kann ich es leben?

Neuübersetzung und Glaubenszeugnis

Ach! Schöpferkraft, du Heilige,
du Heilende, die rundherum belebt:
Komm und fülle, rufe, wecke –
mit dir wär‘ endlich Aufatmen.

Komm trösten und verbinden,
was sich ständig trennt:
Herz und Kopf, Heiliges und Alltägliches.
Sei Begleiter, Schützer, neuer Mut,
Feuer unterm Hintern – und im Innern. 

Unverhofftes wird mit dir
möglich, endlich, denkbar, gut.
Befreist zum Reden, Vergeben und Tun,
gibst sicheres Geleit in manchem Sturm.

Gedankendunkel und Herzenskälte siehst du
an mit wärmendem Blick,
auf dass alles leuchtend werde
und der träge Körper fit.

Kann irgendwann mal Frieden werden?
Wirklich, spürbar, sichtbar, ganz?
Ach, da liegt noch viel im Wege.
Deine Hand sei offen, gut und stark.

Lass uns Gott atmen, spüren, seh’n
und was unsichtbar bleibt, wenigstens glauben. 
Trauen, dass es gut werden kann,
weil du längst wirkst und wartest.

Jede Blume und der Wind
rufen deinen Namen,
wenn wir ihn nicht über die Lippen bringen.
Vater, Mutter, Weggefährte,
zarte Goldspur, treues Licht. 

Amen.

Mirjam Gödeke