Ich heiße Nora Wohnhas (26), bin gelernte Schreinerin und Diätassistentin und komme aus einem kleinen Dorf in Oberschwaben. Nachdem ich 2023 meine zweite Ausbildung beendet hatte, habe ich meine Koffer gepackt und bin für ein halbes Jahr zu den Steyler Missionsschwestern nach Frankfurt ins Pfarrhaus gezogen, um dort mitzuleben, mitzubeten und mitzuarbeiten – „Freiwilliges Ordensjahr“ nennt sich das Ganze…
Nun aber mal von vorne…
Im Frühjahr 2023 habe ich angefangen zu überlegen, was ich nach meinen Abschlussprüfungen im Herbst machen will. Der Alpsommer für 2024 stand schon fest. Doch auf die Almen geht man erst im Mai oder Juni… da sind ja doch noch ein paar Monate dazwischen.
Seit Längerem schon habe ich mit dem Gedanken gespielt, eine gewisse Zeit in ein Kloster zu gehen, vielleicht so ein bis zwei Wochen. Ein bisschen „besinnen“ und mich einigen Fragen stellen, die seit ein paar Jahren immer wieder anklopfen. „Wer bin ich?“, „Wer ist Gott?“, „Wieso bin ich hier?“, Was ist der Sinn des Lebens?“ und so weiter. Ich dachte mir, dass so ein Kloster, das ja sehr ruhig und idyllisch liegt, wohl der richtige Ort für meine Anliegen ist. In meiner Vorstellung betet man da so ziemlich den ganzen Tag und zwischendurch macht man in Stille etwas Gartenarbeit. Zudem weiß ich natürlich, dass Klosterschwestern immer dieses Gewand tragen und die meisten, die ich so sehe (was eher selten vorkommt) sind schätzungsweise mindestens 80 Jahre alt. Und alte Menschen sind ja bekanntlich nett und erfahren! Also könnte das doch ganz gut sein, dachte ich mir!
Nach einer kurzen Recherche im Internet, bin ich auf die Seite des Freiwilligen Ordensjahres (FOJ) gestoßen. Kurz beschrieben ist das eine Mitlebezeit in einer Ordensgemeinschaft, die nicht die Absicht voraussetzt, eintreten zu wollen. Ohne viel zu überlegen, habe ich dort angerufen. Von der Koordinierungsschwester wurde ich bestens über die Strukturen unterschiedlichster Klöster informiert. Bei dem Telefonat merkte ich sehr schnell, dass mein „Wissen“, oder eher Halbwissen, über Ordensleben – naja, sagen wir mal – „sehr beschränkt“ ist. Nach dieser Feststellung und einigen weiteren „Aha-Momenten“ meinerseits, erzählte ich ihr von mir; von meinen Vorstellungen und Wünschen (, die ich bis dato nicht wirklich definiert hatte, da ich bis vor zehn Minuten noch glaubte, alle Klöster sind quasi gleich). Schließlich stellte meine sehr sympathische Gesprächspartnerin fest: „Ich denke die Steyler Schwestern in Frankfurt könnten was für dich sein. Die haben echt tolle Projekte und auch eine eigene Pommesbude.“ Das hörte sich doch gut an!
Nach einer E-Mail und einem Telefonat mit der Leiterin der Gemeinschaft in Frankfurt, Sr. Bettina Rupp, war schnell ein Kennenlern-Wochenende vereinbart. Und danach stand fix fest: Ich gehe für ein halbes Jahr ins Kloster beziehungsweise ins „Pfarrhaus“ mitten in der Großstadt – also weder in ein großes altes Mauerwerk, noch in die Idylle!
Aber was soll’s?! Obwohl ich meine anfänglichen Vorstellungen dafür „an den Nagel hängen“ musste, habe ich die Entscheidung, mein FOJ genau hier zu machen, nie mehr angezweifelt.
Am 05. November 2023 fuhr ich also mit meinem kleinen Renault Twingo, den Sr. Bettina gerne mehr oder weniger liebevoll „Streichholzschachtel“ nennt, bis oben hin vollbepackt, nach Frankfurt. An Bord habe ich nun auch Hoffnungen und Wünsche für die Zeit. Ich will meinen Glauben vertiefen, was auch immer das heißt, und die Fragen, die mich umtreiben, beantworten. Ich will lernen, wie ich meinen Glauben im Alltag leben kann und überhaupt Ideen bekommen, was es heißt, seinen Glauben zu leben. Nach einer vierstündigen Fahrt werde ich in der Gemeinschaft in Frankfurt voll Herzlichkeit und Freude in Empfang genommen. Mein Zimmer ist schon vorbereitet und es gibt ein Original Frankfurter Menü am ersten Abend: „Kartoffeln und Eier in grüner Soße und dazu Ebbelwoi“.
Um ein angemessenes Bild zu vermitteln, muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass entgegen meiner Vorstellung nicht alle Schwestern einen Habit (=Ordensgewand) tragen. In Frankfurt beispielsweise sind alle, bis auf eine Schwester, in Zivil gekleidet. Und auch der Altersschnitt ist hier deutlich unter 80 – um ehrlich zu sein, gibt es hier keine einzige Schwester, die auch nur annähernd 80 ist – wobei man hier fairerweise sagen muss, dass der allgemeine Altersschnitt der Steyler Missionsschwestern nicht allzu weit weg von meinen anfänglichen Vorstellungen ist. Doch nicht so in Frankfurt. Es leben hier zwei Postulantinnen, (= Schwestern in Ausbildung) und fünf Schwestern, die - ausnahmsweise meinen Vorstellungen entsprechend - allesamt wundervoll sind!
Nun zu meinem Alltag. Auch hier müssen einige Klischees der Wahrheit weichen. In den Tag gestartet wird hier tatsächlich mit einem Gebet, der Laudes. Diese ist um 7 Uhr, fünf Mal die Woche. Ich genieße es sehr, den Tag ausgerichtet auf Gott und auf das, was so ansteht, zu beginnen. Die Laudes wird hier abwechselnd von den Schwestern, und später auch ab und zu von mir, vorbereitet. Wir singen, beten und das tägliche Evangelium wird gelesen. Nach dem Morgenlob frühstücken wir immer zusammen. Dabei wird geredet und gelacht – keine Spur von Schweigen.
Danach geht dann jeder seinen Weg. Bettina ins Büro, Christa in eine Behinderteneinrichtung und Jessy zur Bahnhofsmission. Und ich gehe, um sozialversichert zu sein, jeden Vormittag in die wunderbare Gärtnerei Rappelt am Sandberg. Die Gartenarbeit macht mir große Freude und ist ein guter Ausgleich zum geistlichen Leben in der Gemeinschaft.
Zu Mittag gegessen wird dann auch wieder gemeinsam. Es gibt einen Kochplan und auch einen Putzplan – ähnlich wie in einer WG, sodass sich jede am Haushalt beteiligen kann. Nach dem Essen ist für mich dann freie Zeit. Ich habe zweimal pro Woche ein Ehrenamt bei der Caritas. Hier unterstütze ich eine Erzieherin bei ihrer „freien Kunststunde“ für Flüchtlingskinder. Ansonsten fülle ich meine Mittage mit Haushalt, Spaziergängen, beten, Sport, Stadterkundungen. Und an manchen – für mich sehr schönen Tagen – habe ich mittags „geistliche Begleitung“. Klingt nicht nur toll, ist es so! Die liebe Schwester Christine, mit der ich „on top“ auch noch nach Herzenslust in meinem geliebten „schwäbischen Dialekt“ reden kann (was ansonsten in Frankfurt eher unvorteilhaft ist, wenn man verstanden werden will), nimmt sich alle zwei Wochen Zeit für ein persönliches Gespräch. Wir bereden Bibelstellen, die ich nicht verstehe, ebenso Themen, die mich momentan bewegen, und ich stelle all die Fragen, die ich mitgebracht habe – alles hat Raum, alles darf ich ansprechen. In diesen Stunden habe ich so viel gelernt und ich bin so dankbar dafür!
Doch nicht nur in den Gesprächen, auch durch das ganz einfache mitleben und dabei sein im Alltag der Schwestern, sind mir nach und nach so einige „Lichter aufgegangen“. Ich habe hier gefunden, wie gelebter Glaube aussehen kann! Ich sehe ihn jeden Freitagmittag im „KleiderCafé“- hier sind alle Menschen, mit und ohne Obdach, zu Kaffee, Kuchen und Shopping in der Second-Hand-Boutique auf der Orgelbühne herzlich eingeladen. Ich sehe ihn, in der Gestaltung und der Lebendigkeit der Kirche hier, dem „offenen Kühlschrank“, der Bücherlounge und dem Geschenkeschrank, dem Klavier auf dem jede*r spielen darf, und dem Sofa in einer Kirchenecke, auf dem der ein oder andere gerne mal sein Mittagschläfchen macht. Ich sehe den gelebten Glauben im Umgang der Schwestern mit mir und untereinander, und ich sehe und finde ihn hier auf so eine Art, die Lust macht, diesen Glauben auch zu leben. Einen Glauben, der Freude bringt und gibt, der das Leben feiert und der die Menschen respektiert und zu lieben versucht.
Doch bevor ich zu sehr ins Schwärmen komme, zurück zum Alltag. Dieser wird abends, wie er auch angefangen hat, mit einem Gebet oder einer Messe beendet. Diesen Rahmen des Tages, eingebettet in gemeinsames Gebet, genieße und schätze ich sehr.
Ich habe für mich hier ein zusätzliches „allabendliches“ Ritual entdeckt. Das sogenannte „Gebet der liebevollen Aufmerksamkeit“. Der heilige Ignatius von Loyola betitelt diese 15 Minuten vor dem Schlafengehen als „die wichtigste Viertelstunde des Tages“. In Stille bringe ich also täglich meinen (All-)Tag vor Gott. Danke ihm (oder ihr?), für das, was gut war und gebe die weniger guten Dinge ab in seine Hand. Voll Vertrauen darf ich hoffen, dass ich auch morgen von Gott „mein tägliches“ Brot empfange. Diesen Tagesrückblick im liebevollen Auge Gottes werde ich auch zu Hause in meinen Alltag einpflegen, da ich darin einen großen Schatz entdeckt habe.
Es gibt noch sehr viel mehr, was ich mit nach Hause nehme. Alles aufzuzählen, wäre hier unangebracht, da der Bericht dann wohl 20 Seiten lang wäre und die Steyler Schwestern sich vor FOJ-Anfragen nicht mehr retten könnten. So versuche ich es in Kürze zusammenzufassen: Tatsächlich habe ich auf viele meiner mitgebrachten Fragen eine Antwort gefunden. Auch wenn diese meistens lautet „es gibt keine (universelle) Antwort!“. Die jetzige Koordinatorin des FOJ hat es einmal so ausgedrückt: „Du hast das Geheimnis akzeptiert!“. Das bringt es für mich auf den Punkt. Doch nicht nur das: aus der Angst vor dem Unbekannten, wurde die Neugier, dieses Geheimnis des Lebens und das Geheimnis, das Gott umgibt, weiter zu ergründen.
In ganz besonderer und wundervoller Weise kann ich diesem Geheimnis in der letzten Woche meiner Mitlebezeit auf die Spur kommen. Nämlich bei dem jährlichen Pfingstfest der „Dienerinnen des Heiligen Geistes“ (= Steyler Missionsschwestern) in Steyl, in deren Mutterhaus. Dieses ist nun wirklich so eines, wie man es sich vorstellt und auch die Idylle außen herum passt zum Bilderbuchkloster. In wunderschöner Atmosphäre wird nun also drei Tage lang mit ca. 170 Gästen gefestet. Da gibt es liebevoll gestaltete Morgengebete, Gottesdienste mit wunderschöner Musik, Workshops zu ganz unterschiedlichen Themen, eine Kleidertauschbörse und einen Flohmarkt, einen „Open-Stage“- Abend, Tanz und vor allem einen Haufen wundervoller Menschen, die gemeinsam Gott und das Leben feiern. Für mich war dieses Pfingstfest ein wunderbarer Abschluss und eines der Highlights meines FOJ.
Wenn ich nun auch traurig bin, dass die Zeit mit der „Frankfurter- Komi“ zu Ende ist, überwiegt doch die Freude und vor allem die Dankbarkeit für die letzten sieben Monate.
Ich denke und hoffe, dass mein Bericht für sich spricht und nun alle eine solche Zeit im Kloster verbringen wollen. Ich kann es von ganzem Herzen weiterempfehlen. Egal ob man mit vielen Fragen, der Hoffnung auf Ruhe, Struktur oder Gebet anreist, so eine Zeit im Kloster prägt, und das auf eine ganz wunderbare Weise.
Und wie ich nun weiß, gibt es eben auch Unterschiede in den Gemeinschaften, sodass bestimmt für Jede*n was Passendes dabei ist! Meine Erfahrung ist: Man lernt viel mehr als man sich vorstellen und erhoffen kann. Und man lernt anders. Nicht durch Lesen, Büffeln oder endlose Wiederholungen, sondern man lernt durch Sehen, Hören und durch das einfache dabei sein. Wenn ich zurückschaue, habe ich manchmal das Gefühl, zu meinem „Lernen“ hier aktiv wenig beigetragen zu haben, als ob das Lernen ohne mein Zutun geschehen wäre. In den Worten meines Glaubens würde ich es so ausdrücken: „Vieles ist einfach ein Geschenk Gottes!“
Nora Wohnhas