MaZ: Volksfest fürs Jesulein

Bald ist schon meine Halbzeit auf den Philippinen in Sicht. Doch was habe ich in dieser Zeit hier so gemacht? Ich lebe hier in Cebu City, der drittgrößten Stadt auf den Philippinen zusammen mit meiner Mitfreiwilligen Verena. Unser Hauptprojekt ist ein Waldorf-Kindergarten bzw. Waldorfschule, in der wir beide in der Toddler-Gruppe, also bei den ganz Kleinen von anderthalb bis dreieinhalb Jahren als "assistent teacher" (assistierende Lehrkraft) arbeiten.

Dabei gibt es einen geregelten Tagesablauf von Spielen im Garten über Lieder singen im Kreis über Snacks, über "Drinnen"-Spielen bis zu einer Geschichte, die erzählt wird. Die Arbeit dort macht mir wirklich sehr viel Spaß und ich habe die ganzen kleinen Mäuse auch schon in mein Herz geschlossen.
Einmal die Woche gebe ich in der Grundschule einer kleinen Gruppe Deutschunterricht und bin echt stolz, wenn mir die Schüler auch in der Freizeit gerne bis zehn vorzählen oder das Lied "Grün, grün, grün, sind alle meine Kleider"  vorsingen.

Neben dem St. Michaels Play Garden haben wir seit Januar auch ein zweites Projekt. Denn mit dem neuen Jahr starteten meine Mitfreiwillige und ich damit abwechselnd ins Balay Samaritano zu gehen: ein Treffpunkt für Kinder,  Jugendliche und Senioren, die auf der Straße leben, an dem sie sich duschen, Snacks und Mittagessen bekommen.
Das Besondere an dem Projekt ist aber eben nicht nur, dass wir noch stärker in Kontakt mit den Ärmsten der Bevölkerung kommen, sondern das wir dort auch sehr kreativ und eigenständig sein und für die Kinder jede Art von Aktivität anbieten können, sei es Unterricht, Malen, Basteln, Tanzen, Singen, Spielen und vieles mehr.
Obwohl es natürlich nicht einfach ist, eine große Gruppe an Kindern unter Kontrolle zu haben, macht es mir jedes Mal so unglaublich viel Freude, für sie etwas vorzubereiten und Zeit mit ihnen zu verbringen.

Leider ist es aber derzeit nicht erlaubt, dass die Kinder dort  hinkommen, da das ganze Haus renoviert werden muss. Daher wird dort im Moment hauptsächlich nur gekocht und das Essen dann an Kinder auf der Straße verteilt.
Es ist aber trotzdem schön, dort zu arbeiten, weil ich dadurch nochmal mehr lerne, philippinisch zu kochen, und auch noch mehr Kontakt zu den Senioren und Jugendlichen aufbauen kann, die dort immer noch zum Essen vorbeischauen.  Nach den Renovierungsarbeiten soll das Projekt dann aber auch wieder für alle geöffnet werden und ich freue mich schon sehr darauf alle Kinder wiederzusehen.

Außerdem besuchen wir jeden Sonntag mit den Steyler Schwestern hier vor Ort ein Armenviertel und verteilen Essen an die Kinder und spielen mit ihnen. Es ist so schockierend  zu sehen, wie schlecht es den Kindern dort geht: Zerfetzte T-Shirts oder überhaupt keine Kleidung, offene Wunden und anderes. So etwas hatte ich noch nie gesehen, so viele Kinder, die um dich herum stehen und an deinem T-Shirt zerren, um vor den anderen in der Reihe etwas zu essen zu bekommen.
Aber gleichzeitig diese unglaubliche Freude und Dankbarkeit, nachdem sie alle etwas zu essen hatten und wir mit ihnen gespielt haben. Noch nie habe ich solch strahlende Kinderaugen in Deutschland gesehen.  Solche Erlebnisse bringen mich sehr zum Nachdenken und lassen mich viele Dinge in Frage stellen. Was läuft auf der Welt schief? Warum bekommen Kinder ihren Hunger nicht gestillt?

Daneben wurden wir von einem Pater der Steyler Missionare zu seinem Projekt mit Kindern auf der Müllhalde mitgenommen. Ich muss sagen, dass dieser Nachmittag einer der schönsten war, den ich bis jetzt auf den Philippinen erlebt habe.
Als wir auf der Mülldeponie ankamen, haben uns die Kinder direkt freundlich angelächelt und nach unserem Namen, Alter und natürlich, wo wir denn herkommen, gefragt. Den Gottesdienst habe ich dann umringt von lauter kleinen Kids, die dich am liebsten die ganze Zeit ausgefragt hätten, sehr genossen.
Auch wenn der Gottesdienst komplett in Bisaya war, hab ich doch ein bisschen was verstanden und gerade die Lieder habe ich so sehr genossen, besonders da die Kinder alle so laut mitgesungen haben. Ich kann gar nicht mal genau sagen, wieso, aber für mich war das einfach ein so schöner Moment.
Nach dem Gottesdienst haben wir dann noch eine kurze Tour über die Müllhalde bekommen und uns wurde erzählt, dass dort ca. 900 Familien leben, von denen die Kinder nur durch die Finanzierung der Steyler Brüder in die Schule gehen können, da die Familien nicht mal die Ausgaben wie Papiergeld und Schuluniform zahlen können.
Aber als ob die Menschen nicht schon genug Probleme haben, soll nun die Müllhalde plattgemacht und ein riesiges Geschäftsgebäude dort errichtet werden. 900 Familien! Wo sollen die denn alle hin? In solchen Momenten zweifle ich an der Menschheit. Wie kann man Menschen, die nichts haben auch noch ihr Zuhause nehmen? Mich hatte dieses Erlebnis auf jeden Fall sehr berührt und ich hoffe, dass wir Pater Alex dort nochmals begleiten können, bevor die Müllhalde geschlossen wird.

Ich bin hier in Kontakt mit einer Armut auf den Philippinen gekommen, die ich mir vorher nicht vorstellen konnte. Aber das ist nur die eine Seite, denn dieses Land ist für mich der Inbegriff der Schere zwischen arm und reich. Denn neben der massiven Armut gibt es auch viele reiche Familien.
Zurzeit stehen nämlich Hausbesuche bei unseren Schülern an und es schockiert mich, in was für riesigen Villen in den luxuriösesten Subdivisions (d.h. abgegrenzte Reichenviertel) sie teilweise leben.
So höre ich mir montags und dienstags Sorgen der Eltern über die bevorstehende riesige Geburtstagsparty ihrer dreijährigen Tochter in mehreren Monaten an, für die ja noch drei Privatfotografen engagiert werden müssen, und Mittwoch bis Freitag klopfen Kinder an die Tür von Balay Samaritano, weil sie hungrig sind, da sie, seitdem es vorübergehend geschlossen ist, nichts mehr zu essen finden.
Anders als in meinem Umfeld in Deutschland habe ich durch die Einsatzstellen hier die Möglichkeit, die beiden Extreme im Kontrast zu sehen.

Sicher interessiert es aber auch viele, wie meine erste Advents- und Weihnachtszeit bei 30 Grad Hitze so verlief. Trotz der ungewohnten Wärme gab es doch viele Gemeinsamkeiten, denn natürlich wurde an der Schule auch St. Nicholas gefeiert.
Dabei wurden die Schuhe der Kinder mit allerlei Gutem gefüllt und sie bekamen einen kurzen Überraschungsbesuch vom Heiligen Nikolaus und seinem Begleiter Knecht Rupprecht. Bei diesem Besuch wurde u.a. von St. Nikolaus aus dem großen goldenen Buch vorgelesen, was jedes einzelne Kind für gute Eigenschaften hat, und anschließend bekamen sie eine Kette überreicht mit den Worten "Grow in love" ("Wachse in der Liebe!").
Es war eine wirklich schöne Zeremonie und es wurden viele schöne Worte gesprochen, die die Kinder dazu motivieren sollen, ihr gutes Herz niemals zu verlieren.

Daneben ist aber natürlich auch hier die Adventszeit die Zeit der Nächstenliebe und des Gebens, deswegen wurden von der Schule aus eine Geschenkeübergabe an Straßenkinder organisiert und eine ganz besondere Aktion für die Kinder aus unserer Nachbarschaft veranstaltet, die immer nur von außen auf den großen Spielplatz spähen können, aber deren Eltern es sich niemals leisten könnten, ihre Kinder hier zur Schule zu schicken.
Wir hatten beschlossen, für sie unser Adventsfestival nochmal zu wiederholen. Zwar nicht eins zu eins, aber wir wollten eben auch für sie eine kleine Advents-/Weihnachtsfeier veranstalten.
Noch nie hatte ich so viele Kinder auf unserem Spielplatz gesehen, denn anstatt den geplanten 50 Kindern waren es insgesamt über 70. Es war einfach so ein schöner Moment, all die Kinder so glücklich spielen zu sehen. Hier gibt es nämlich nicht so etwas wie einen öffentlichen Spielplatz. Deswegen war unser Garten für sie natürlich das Paradies und auch bei unserer Adventsgeschichte und Adventsspirale waren sie voller Neugier dabei.

Nun zu Weihnachten: Schon nach nur wenigen Tagen, die ich hier auf den Philippinen war, wurden wir von einer guten Freundin von uns, die ebenfalls hier unterrichtet, dazu eingeladen, Weihnachten und Silvester mit ihrer Familie zu feiern, die auf der Nachbarinsel Negros auf dem Land wohnt. Natürlich haben wir da nicht nein gesagt und somit ganze zwölf Tage mit ihrer Familie verbracht. Die Zeit dort war eine großartige Erfahrung, nicht nur dass wir dadurch einen tiefen Einblick in ein Familienleben auf den Philippinen bekommen haben, sondern wir haben dadurch auch eine zweite Familie gefunden, denn sie sind uns alle so sehr ans Herz gewachsen.
Am 24. Dezember war es dann endlich soweit und es wurde erstmal das Schwein geschlachtet, wobei ich zusehen "durfte". Allgemein wurde hauptsächlich das Essen für den Abend vorbereitet. Neben Essen wurde dann Karaoke gesungen, was ich hier immer wieder antreffe.
Um Mitternacht hat man sich dann offiziell "Maayong pasko" bzw. "Merry Christmas" gewünscht und es gab ein kleines Feuerwerk und anschließend natürlich das vorbereitete Weihnachtsessen. Danach wurden auch noch ein paar kleine Geschenke verteilt.
Für mich hat sich das in dem Moment alles nicht nach Weihnachten angefühlt. Allein schon das heiße Wetter, aber eben auch kein Weihnachtsbaum und gemeinsames Weihnachtslieder singen mit meiner Familie, wie ich es 17 Jahre lang gewohnt war.
Am nächsten Tag ging es dann nachmittags, nachdem ich mit meiner Familie geskypt hatte, in die Messe. Für mich war dieser Gottesdienst wirklich wichtig, denn es war der Moment, an dem ich wirklich verstanden habe, dass tatsächlich Weihnachten ist.

Noch zu Sinulog, das für Cebuanos wohl wichtigste Ereignis im Jahr: Sinulog, das Fest zu Ehren von Senyor Sto Nino (Heiliges Jesulein). Wenn ich Filipinos kennengelernt habe, gehörte neben den Fragen "Wie heißt du?" und "Wo kommst du her?" auch immer die Frage "Bist du an Sinulog noch hier?" dazu.
Dementsprechend war ich unglaublich aufgeregt, als sich das besagte Wochenende näherte. Die Woche davor konnte man schon in jeder Straße die "Sinulog Songs" hören und die ganze Stadt war mit Fähnchen geschmückt. Vor der Sto.-Nino-Basilika fanden rund um die Uhr Messen statt, eine ganze Woche lang. Und jedes Mal war der Platz davor von solchen Menschenmassen gefüllt. Es war so ein unglaubliches Gefühl , so viele Menschen für den Glauben versammelt zu sehen.

Am Sonntag fand dann die riesige Parade statt mit unzähligen Tanzgruppen mit den verrücktesten Outfits. Aber das, was mich am meisten umgehauen hat, waren die unglaublichen Menschenmassen auf der Straße. Die komplette Innenstadt war gesperrt und man konnte sich überhaupt nicht mehr wirklich fortbewegen, da so viele Menschen um einen herumstanden.
Als die Parade dann vorbei war, sind alle auf die Straße geströmt und es wurde jedem zur Begrüßung "Pit Senyor!"  zugerufen und sich gegenseitig Farbe ins Gesicht geschmiert. Alles in allem war es echt ein einmaliges Erlebnis und ich kann nun auch verstehen warum "Bist du an Sinulog noch hier?" zu den wichtigsten Fragen gehört.

Alles in allem habe ich hier schon so viel Neues gelernt und meinen Horizont erweitert, bin noch selbstständiger und selbstbewusster geworden. Ich bin daher so dankbar, dass uns in Deutschland diese einzigartige Möglichkeit gegeben wird und mich so viele Leute dabei unterstützen.

- Veronika