Was kommt nach dem Wachstum?

Florian Roth, Umweltaktivist und Nachhaltigkeitsreferent, spricht im Interview mit Catlin Colla über seine Perspektive von Postwachstum und die Möglichkeiten einer gerechteren Gesellschaft und Wirtschaftsweise.

Florian Roth (27 Jahre) hat nachhaltige Entwicklung in Uppsala, Schweden studiert. Er ist u.a. im Bündnis „Ende Gelände“ und in der „Schönstatt -Bewegung“ aktiv und lebt in Köln.

Lieber Florian, mittlerweile ist es schon ein paar Jahre her, dass wir zusammen bei der Degrowth Summer School auf dem Klimacamp waren. Erklär‘ mir doch bitte zu Beginn kurz, was Degrowth eigentlich ist.
Florian Roth: Degrowth kommt eigentlich aus dem Französischen für „Décroissance“, was man unterschiedlich übersetzen kann. Im Englischen bedeutet es eher „Unwachstum“ oder Anti-Wachstum. Im Deutschen wird der Begriff häufig mit Postwachstum übersetzt und ist damit nicht so negativ konnotiert. Prinzipiell steckt dahinter zum einen eine Kritik an unserem bisherigen Wirtschaftssystem, welches ausschließlich auf Wachstum basiert und wodurch natürliche Ressourcen ausgebeutet werden, die ja bekanntlich endlich sind. Zum anderen steckt im Postwachstumsgedanken aber auch eine positive Vision von einer Gesellschaft, in der Wachstum nicht das zentrale Ziel darstellt, sondern stattdessen eine nachhaltige Wirtschaftsweise im Rahmen begrenzter Ressourcen steht.

Und wie würde die dann konkret aussehen?
Postwachstum betrifft ganz unterschiedliche Bereiche unserer Gesellschaft und Wirtschaft, und ist nicht ohne Politik zu denken. Nico Paech ist ein führender Postwachstumsvertreter in Deutschland und verfechtet zum Beispiel die Idee einer 20-Stunden-Erwerbsarbeitswoche. Nach seiner Idee sollten wir neben der Erwerbsarbeit uns auch für die Gesellschaft engagieren und dafür ein Grundeinkommen bekommen. Damit steht nicht die Lohnarbeit für ein Unternehmen im Vordergrund, sondern das gesellschaftliche Miteinander und die Teilhabe an der Gesellschaft.

Das klingt ja erstmal nach einem „Mehr“. Bei dem Begriff „degrowth“ oder „Postwachstum“ könnte man aber eben auch daran denken, dass wir kürzertreten und verzichten müssten.
Ja, es wird schnell Wachstum mit Wohlstand gleichgesetzt. Ich würde dagegen die Frage stellen, was Wohlstand bedeutet. Bedeutet es, alle zwei Jahre das neueste Handy zu kaufen oder definiere ich es als Wohlstand, dass mein Handy zehn Jahre hält und ich mehr Zeit mit Freund*innen verbringen kann, weil ich nicht so viel arbeiten muss.

Kritiker*innen behaupten, dass dadurch die Industrie schrumpfen würde, Arbeitslosigkeit steigen könnte und unser modernes Gesundheitssystem so nicht mehr finanzierbar wäre. Was würdest Du entgegnen?
In verschiedenen Unternehmen im Silicon Valley wird der 5-Stunden-Tag bereits umgesetzt, basierend auf der Annahme, dass damit die Produktivität der Mitarbeitenden am besten ausgeschöpft ist. So wird ein vermeintlicher Postwachstumsgedanke in Bezug auf die Erwerbsarbeitszeit also sogar von kapitalistischen, profitorientierten Unternehmen umgesetzt!  Außerdem wird am Beispiel von Mondragon Cooperative Complex, einem Zusammenschluss von Genossenschaften in Spanien, modellhaft deutlich, dass Profit- und Wachstumszwang nicht zwingend notwendig sind und dadurch sogar Arbeitsplätze geschaffen werden.

Und was macht Mondragon anders?
Mondragon wurde 1956 aus der Not heraus von einem katholischen Priester während der Franco-Diktatur gegründet, da die baskische Region kaum Unterstützung von der Zentralregierung erhielt. Heute besteht es aus insgesamt 257 Genossenschaften und umfasst neben Betrieben aus dem industriellen und landwirtschaftlichen Bereich auch Schulen, Kindergärten, eine Universität, eine Supermarktkette und eine Bank, die eng miteinander verbunden sind. Dies entspricht der Postwachstumsidee insofern, dass eine regionale Verankerung von miteinander vernetzten Wirtschaftskreisläufen stattfindet. Bei Mondragon verdient ein*e Manager*in nur drei bis siebenmal so viel wie der bzw. die Angestellte, die dort am wenigsten verdient. Im Vergleich dazu verdient ein Vorstandsmitglied bei VW etwa 62-mal so viel wie ein*e durchschnittliche*r Mitarbeiter*in. Zudem können bei Mondragon alle Mitarbeitenden – die gleichzeitig auch Mitglieder der Genossenschaft sind – demokratisch mitbestimmen, und so zum Beispiel das Management wählen.

Das waren bisher Beispiele auf der politischen bzw. wirtschaftlichen Ebene. Mich interessiert, was du für Dich ganz persönlich umsetzt. Ich weiß zum Beispiel, dass Du seit einigen Jahren nicht mehr fliegst.
Das ist richtig. Diesen Entschluss habe ich damals, inspiriert von einem Professor an meiner Uni, gefasst. Ich habe in Schweden studiert und mich damals entschieden, zwischen Deutschland und Schweden nur mit Bus und Bahn zu pendeln. Und darüber hinaus engagiere ich mich im Alltag in ganz unterschiedlichen Bereichen. Dabei denke ich jetzt aber nicht konkret daran, dass das jetzt Postwachstum bedeutet, aber klar, es lässt sich darunter fassen.

Und wie engagierst Du Dich noch oder wie könnte ich mich auch engagieren?
Also zum einen engagiere ich mich in der Klimagerechtigkeitsbewegung, wozu auch das Aktionsbündnis ‚Ende Gelände‘ zählt. Dabei geht es vereinfacht gesagt darum, medialen Druck aufzubauen und zu zeigen – wenn ihr die Kraftwerke nicht stilllegt, tun wir es. Es gibt auch noch andere spannende Initiativen hier in Köln, wie z.B. ‚Aufbäumen  ‘, eine lokale Klimagruppe, die sich auch dem Thema der Vergesellschaftung großer Energiekonzerne widmet. Die diskutieren gerade die Möglichkeit, RWE von einem privaten Aktienunternehmen in eine Genossenschaft bzw. ein Unternehmen in Bürger*innenhand umzuwandeln. Bis zur Privatisierung der Energieversorgung war es selbstverständlich, dass die Versorgung von Strom und Wärme zu den öffentlichen Gütern zählt, die vom Staat bereitgestellt werden sollten.

Auch diese Initiativen agieren ja eher auf einer übergeordneten Ebene, Du hättest mir jetzt  z.B. auch empfehlen können, regionale und saisonale Lebensmittel zu kaufen.
Klar, das sind alles gute Sachen und irgendwo sollte man auch anfangen. Auch sich hauptsächlich vegetarisch zu ernähren, ist für mich wichtig, um Authentizität zu bewahren. Doch gleichzeitig glaube ich nicht, dass wir durch Konsum und unsere Kaufentscheidung allein eine nachhaltige und ökologische Wirtschaft erwirken können.

Und wie können wir dann dahinkommen?
Was vor allem verändert werden muss, ist die Regulierung von Unternehmen gerade im Hinblick auf ökologische und soziale Folgen ihres Handelns.  Unternehmen sollten nicht mehr nur davon profitieren, dass sie möglichst viel Profit erwirtschaften, sondern stattdessen sollten andere Anreize geschaffen werden, die Unternehmen dafür belohnen, sozialverträgliche Standards für Arbeitnehmende und umweltfreundliches Verhalten umzusetzen. Nur mit unserer Kaufentscheidung alleine ginge es, meiner Meinung nach, so weiter wie bisher, weil wir weiter konsumieren und die Unternehmen können weiter ungestört wirtschaften. Mir geht es darum, mitzumischen. Ich möchte mitentscheiden dürfen und meine demokratische Pflicht nicht allein mit dem Gang zur Wahlurne als erfüllt ansehen. Für mich bedeutet Demokratie Teilhabe und das kann auch bedeuten, sich nachbarschaftlich zu engagieren oder sich für Geflüchtete einzusetzen.

Das erinnert mich jetzt an Nächstenliebe als christlichen Wert.
Stimmt! Und um wieder zurück zum Postwachstumsgedanken zu kommen, sind Nächstenliebe und Schöpfungsbewahrung für mich persönlich die Pfeiler einer solchen Gesellschaft.

Kannst Du das noch näher ausführen?
Schon in der Bibel findet sich Wirtschaftskritik: Jesus, der die Marktleute aus dem Tempel wirft, oder im Alten Testament, dass alle 50 Jahre die Schulden erlassen und der Besitz neu verteilt werden sollte.

Bestärkt Dich das persönlich in Deinem Engagement?
Ja, würde ich schon sagen. Ich bezeichne mich selbst als Christ des Alltags und es ist mir sehr wichtig, meinen Glauben auch zu leben und danach zu handeln.

Was würdest Du anderen mitgeben?
Sucht Euch Mitstreiter*innen, denn in Gemeinschaft ist es leichter Veränderungen zu bewirken – und los geht’s! Von alleine werden wir nicht auf einmal ein alternatives Wirtschaftssystem und damit auch ein besseres gesellschaftliches Miteinander bekommen, sondern wir müssen uns dafür einsetzen!

Und was steht für Dich als nächstes an?
Ich würde mich gerne in einer Partei engagieren, um in der Lokalpolitik aktiv zu werden.

Können Dich Kölner*innen also bald zum Bürgermeister wählen?
(lacht) Vielleicht! Allerdings frühestens in fünf Jahren.

Das Interview erschien im Frühjahr im neuen in:spirit-Magazin. Hier die ganze Ausgabe herunterladen.