MaZ: Vom Wandel

Letzen Monat wurde hier in Argentinien der Präsident gewählt. Da allerdings kein klares Ergebnis vorlag bzw. weil zwei Kandidaten ähnliche Stimmanteile erreichten, wird heute am 22. November der neue Präsident gewählt.

Zur Auswahl stehen Daniel Scioli, der für die amtierende politische Kraft der "Peronisten", einer sozialpolitischen Partei, die seit Jahren Argentinien regiert, in den letzten Monaten und Jahren allerdings auch viele Fehler gemacht hat. Auf der anderen Seite steht Mauricio Macri, ein Politiker, der Argentinien mit seiner Partei, die sich "Cambiemos" (in etwa "Veränderung") nennt, Argentinien zu einem Kurswechsel antreiben will. Dieser Slogan der Veränderung beschreibt auch ziemlich gut das Bild, das meinen Monat November hier in Argentinien geprägt hat. Nach den ersten Wochen der Gewöhnung ist nun ein richtiger Alltag eingetreten. Ich habe feste Arbeitszeiten und bin nicht mehr der Springer, der mal da und dort hilft.

Meine jetzige Aufgabe ist es, das Frühstück und das Mittagessen für die Bewohner des Altenheims zu verteilen, denen, die nicht selbst essen können, dabei zu helfen und danach das Esszimmer, das wie ihr euch denken könnt, nach einer Mahlzeit ziemlich dreckig ist, mit Essensresten auf dem Boden und den Tischen, aufzuräumen. Das mache ich sechs Tage die Woche von Montag bis Samstag. Wer denkt, das wäre langweilig, der denkt falsch, denn es gibt nahezu jeden Tag etwas zu lachen, denn die Bewohner des Altersheims sind durch ihr teils verrücktes Verhalten zu lieben, wenn auch es manchmal nervig ist.
Für mich hat so langsam jeder der 30 Opas und Omas dort etwas Besonderes und Einzigartiges, was ihn auszeichnet und für mich besonders macht. Sei es ein spezielles Frühstück, eine Gewohnheit beim Essen, die einen zu Beginn total verwundert hat, mittlerweile aber total normal ist, oder sonst irgendwas.
Beispielsweise gibt es hier eine Bewohnerin, die nicht sprechen kann. Sie schlägt sich immer auf den Kopf, wenn sie etwas zu essen oder zu trinken haben will, was wirklich lustig anzusehen ist.
Eine andere Dame mit respektablen 98 Jahren sitzt den ganzen Tag in ihrem Sessel und möchte, dass man ihr Geld bringt, damit sie sich Chipa (eine Teigspeise, die es in Deutschland nicht gibt) oder Fleisch und Wein und Bier kaufen kann. Manchmal meckert sie so lange rum, sodass wir uns erbarmen und ihr ein Stück Mortadella oder ähnliches bringen. Danach fühlt sie sich immer wie im Siebten Himmel und kann nicht aufhören zu strahlen.
Allein an diesen zwei Beispielen seht ihr, wie jeder der 30 Mitbewohner seine Eigenart hat, und ich denke, es wird nie der Punkt kommen, an dem sie langweilig werden.

In meinem letzten Rundbrief hatte ich von meiner Unterkunft berichtet, in dem ich mich nicht grade wohlgefühlt hatte. Es war aus Holz gebaut und hatte einige Löcher in der Wand. Der Boden war aus Beton. Das Bad nebenan war sehr alt und dreckig und ich habe es als sehr eklig empfunden. Es ist halt eben alt.
Zuerst dachte ich, ich komme schon klar damit, nur mit der Zeit merkte ich, dass es mir relativ viel Energie raubt, wenn ich mich in meinem neuen "Zuhause" nicht wohl fühle.
Ich sprach mit Schwester Bertha und Edita, den beiden Schwestern, die sich um mich kümmern, und habe jetzt ein neues, sehr hübsches kleines Zimmer mit eigenem Bad, Spiegel und guter Matratze, was mich sehr erleichtert hat. Mit der Lösung dieses Problems fiel mir ein großer Stein vom Herzen und ich kann jetzt guten Gewissens sagen, dass meinem Wohlbefinden in meiner neuen Heimat nichts mehr im Weg steht. Ich bin superzufrieden mit allem was sich (zum Guten) geändert hat.

Zu all diesen schönen Veränderungen kam diese Woche auch noch dazu, dass Schwester Bertha Internet für das Heim bestellt hat. Wir haben nun einen PC, der Internet hat. Diese Tatsache, die für mich vor drei Monaten noch selbstverständlich war, hat mich zu tiefst gefreut, obwohl ich mittlerweile im Gegensatz zu vor zwei Monaten relativ unabhängig vom Internet bin und mir die Dinge, die zuvor für mich unvermeidlich waren, nun mehr und mehr egal werden.
Das erste Mal, wo es mir wirklich gefehlt hat, war, als es die Anschläge auf Paris gab. Zwar war auch in den Medien Argentiniens alles voll mit Nachrichten, allerdings nicht sehr präzise.
Nun habe ich die Möglichkeit das Internet für meine Notwendigkeiten zu nutzen oder auch mal nach der Arbeit meine Zeit in Facebook oder sonstwo zu vergeuden. Und im Umgang mit dem Internet gibt es einen Rollentausch, sodass ich nicht mehr der bin, der zu lernen hat, sondern ab jetzt täglich Unterricht mit Bertha über den Umgang mit Internet, E-Mail und allem, was dazu gehört habe.
Was ich auf der einen Seite super interessant, auf der anderen Seite auch ein bisschen beängstigend fand, waren die Unwetter, die es in diesem Monat nahezu vier- oder fünfmal in der Woche gab. Diese Unwetter sind kein Vergleich zu einem Gewitter in Deutschland, denn hier schüttet als, als würde die Welt im Wasser untergehen, der Wind tobt und im Minutentakt schlagen die Blitze ein.
Aus Sicherheitsgründen wird teilweise für eine Stunde der Strom abgestellt, sodass es kein Licht und kein Garnichts gibt. So kommt es schon mal vor, dass man beim Mittagessen im Dunkeln sitzt oder sich morgens nach dem Aufstehen im Dunkeln umziehen muss. Ich bevorzuge allerdings dieses Wetter den angekündigten 30 oder mehr Grad bei Nacht in den kommenden drei Monaten.

Ich möchte außerdem in diesem Brief noch von zwei Erlebnissen, die ich außerhalb meines Dienstes im Altersheim erleben durfte, berichten. Schwester Ana kehrte von ihren Angelegenheiten in Buenos Aires zurück, als ich letzten Monat aus Posadas zurückkam. (Ich bin etwa einmal im Monat im Provinzhaus der Schwestern dort, wo ich auch Sr. Edita treffe.)
Auf jeden Fall kam Ana zeitgleich mit mir wieder nach Roca. Sie ist die Schwester, die mit den Aborigenes (den Ureinwohnern, das Volk der Guaraní) arbeitet. Da es in einem Ort, der ca. 20 Minuten ein Fest der "Völker" oder besser gesagt der verschiedenen Länder der Welt gab und auch die Aborigines eingeladen wurden, half ich ihr und einigen Lehrern dabei, wunderschöne Artikel, die die Aborigenes selbst herstellen (z.B. Taschen, Kreuze, Tiere, oder andere Dinge aus einem sehr schönen, fein verarbeiteten Holz), zu verkaufen, um Geld für die Projekte mit den Aborigenes zu verdienen.
Wir besuchten außerdem auch einige Ureinwohnerdörfer, die so weit im Wald versteckt sind, dass man sie bei einem Unwetter nur sehr schwer erreichen und genau so wenig verlassen kann.
Die Armut und die Notwenigkeit von Hilfe für diese Dörfer ist unübersehbar. Die Hilfe der Politik für diese Dörfer ist sehr mickrig. Für mich zeigte sich die Hilfe der Politiker darin, dass die Aborigines einige Plakate und Banner, die die Politiker für ihre Wahlkampagne nutzen, als Wand bzw als Wind- und Regenschutz ihres Hauses nutzten.
Außerdem berichtete mir Ana, dass es andere Dörfer gibt, in denen sie nicht mal Strom und fließendes Wasser haben. Es fehlt also an allen Ecken und Enden. Umso schwerer ist es, diese Menschen in "unseren" Alltag und "unsere" Gesellschaft einzugliedern. Die Leute hier vor Ort versuchen jedoch alles Menschenmögliche, um deren Wohlbefinden zu verbessern, und werden zu meiner Freude auch viel – vor allem aus Deutschland – finanziell unterstützt.

Ein anderes Erlebnis war eine Wanderung, allerdings keine normale. Ich startete mit einigen Freunden zwischen 12 und halb 1 nachts und lief mit ihnen sechs Stunden lang auf der Hauptstraße, die zwischendurch auf eine Autobahn mündete, 25 Kilometer nach Loreto, wo das Fest der Virgen (Jungfrau) von Loreto mit dem Bischof von Posadas und mehr als 60 bis 70 Priestern gefeiert wurde. Auch wenn man nach der Wanderung durch die Nacht am Morgen ein bisschen niedergeschlagen war, war es ein supertolles Erlebnis und eine schöne Erfahrung.
Am besten hat mir der Sonnenaufgang gegen 5 Uhr gefallen, der das Dunkel der Nacht beendete und den Weg, der links und rechts von sattem Grün bestückt ist, erleuchtete. Die Sonne gab uns dann Kraft für die letzten Kilometer.

In Deutschland beginnt nun der Winter, es wird kälter und dunkler und es beginnt der Advent. Diese Vorbereitung auf Weihnachten beginnt auch hier bei mir, allerdings auf eine völlig andere Art und Weise.
Ich denke, dass es ein wenig schwer werden wird, mich bei mehr als 30 Grad im Schatten und mit elektrischen Kerzen, weil das Wachs bei der Hitze schmilzt, auf Weihnachten einzustellen. Trotzdem bin ich schon neugierig wie es so wird und wir werden nun auch im Altersheim mit den Vorbereitungen beginnen.
Heute haben wir in Posadas bei Schwester Edita das Ende des Kirchenjahrs gefeiert und warten nun auf die Ergebnisse der Wahl. Ob es beim Alten bleibt oder einen Wechsel gibt, das werden wir sehen.

- Paul