Ich wohne am südlichen Stadtrand der Millionenstadt Bangalore, die weltweit vor allem für die hier ansässige IT-Industrie bekannt ist und so auch "India‘s Silicon Valley" genannt wird. Ich lebe im Provinzhaus der Steyler Missionsschwestern zusammen mit um die zwanzig Schwestern verschiedenen Alters, drei Novizinnen und 18 Aspirantinnen (d.h. Mädchen in meinem Alter, die Schwestern werden möchten). Auf dem gleichen Gelände befinden sich neben zwei Schulen meine MaZ-Projekte: ein Altenheim und ein Kinderheim. Das Gelände, auf dem ich wohne, ist recht grün. Wir haben Hühner, Enten und viele verschiedene Gemüse- und Obstsorten im Garten. Das Gelände liegt an einer Hauptstraße, die zurzeit einen starken Kontrast zum Gelände darstellt. Es wird nämlich auf dieser die neue Metrolinie in die Innenstadt gebaut wird, sodass große Baugruben, Eisenstangen und sonstiges Baumaterial die Straßenseiten schmücken. Früher lag dieser Stadtteil komplett außerhalb der Stadt. Aber durch das rapide Wachstum Bangalores, wirtschaftlich wie an Einwohnerzahl, in den letzten zwei Jahrzehnten ist dieser nun an die Stadt angewachsen. Soweit zu meiner Umgebung, nun zu meinem neuen Alltag.
Morgens um 6 Uhr klingelt der Wecker, damit ich um 6:30 Uhr an dem Gottesdienst in der Hauskapelle teilnehmen kann. Anschließend gibt es Frühstück, was für mich bedeutet, dass ich mindestens eine Banane aus unserem Garten essen darf. Danach laufe ich in der noch kühlen (zurzeit sogar recht kalten) Morgenluft über das Gelände zum Altenheim, sodass ich mich auf der nächsten Baustelle befinde, da dieses zurzeit ausgebaut wird. Im Altenheim wohnen um die 30 Senioren, von denen die meisten Englisch sprechen und im "Holy Spirit Home" (Heim Heilig Geist) leben, weil sie alleinstehend sind oder ihre Kinder im Ausland wohnen, sodass sie keinen haben, der sich um sie kümmern kann. Meine Zeit verbringe ich mit ihnen, indem ich mit ihnen spazieren gehe, mit ihnen Sportübungen mache, singe, bastele, ihnen vorlese, ihnen zuhöre oder einfach mit ihnen in der Sonne sitze. In der Adventszeit habe ich außerdem beim Schmücken des Altenheims und bei den Vorbereitungen für das alljährliche Weihnachtskonzert geholfen. D. h. ich habe die Bewohner, soweit sie es noch können, Weihnachtssterne zum Aufhängen schneiden lassen und habe fleißig mit ihnen ihren Text für das Konzert geübt. Dieses Jahr war es das dreizehnte Konzert, zu dem die Bewohner Freunde und Familie eingeladen haben, und es hatte das Thema "Emmanuel: God with us" (Immanuel: Gott mit uns). Beim Konzert saß ich neben einer Bewohnerin, auf die ich die meiste Zeit aufpasse, weil sie dement ist. Auch wenn ihr die meisten Wörter nicht mehr einfallen, kann sie sich sehr gut an die Melodien und Texte der Weihnachtslieder erinnern. Nachdem sie ein kleines Solo vom Lied "Stille Nacht, Heilige Nacht" gesungen hat und alle für sie geklatscht haben, kullerten ihr einige Tränen die Wangen runter, so sehr hat sie sich gefreut. Dies und die Botschaften aller Bewohner, was für sie Weihnachten bedeutet, hat mich sehr gerührt.
Im Altenheim wohnen Christen sowie Hindus zusammen. Das Gleiche gilt für mein zweites Projekt, das Kinderheim, zu dem ich nachmittags/abends gehe, wenn die Kinder wieder aus der Schule zurück sind. Im Kinderheim wohnen 18 Mädchen aus Eineltern- und/oder sozialschwachen Familien im Alter zwischen sechs und 16 Jahren. Sie wohnen im Kinderheim, damit sie sich besser auf die Schule konzentrieren können. Am Wochenende gehen einige von ihnen nach Hause, die anderen bleiben im Heim, weil ihre Familien weiter weg in Dörfern des umliegenden Bundesstaates Karnataka wohnen. Auch mit den Kindern kann ich mich zum größten Teil gut auf Englisch verständigen, wobei ihre Muttersprachen verschieden sind. In Bangalore werden auf Grund von Migrationsströmen aus verschiedenen Teilen Indiens sehr viele Sprachen gesprochen. Z.B. sprechen viele einer der folgenden südindischen Sprachen: Kannada, Malayalam, Tamil, Konkani. Es ist also ganz normal sich in drei oder mehr Sprachen und mit Händen und Füßen zu verständigen. Im Kinderheim selbst helfe ich den Kindern bei ihren Hausaufgaben, da diese bis auf die Fächer Kannada und Hindi auf Englisch sind. Wenn diese fertig sind und noch Zeit bis zum Abendgebet/-essen ist, spiele ich mit ihnen oder ich bringe ihnen etwas Deutsch bei und umgekehrt sie mir etwas Kannada, damit ich mich langfristig etwas besser mit den Köchinnen/anderen Angestellten im Haus verständigen kann.
Nun zum Thema: Wie feiert man Weihnachten in Indien: ein Land in dem Christen eine Minderheit bilden und es zur besagten Jahreszeit im Großteil des Landes um die 30 Grad ist?
Ich kann nicht für ganz Indien sprechen, sondern nur für den kleinen Umkreis, in dem ich mich in meinem ersten Monat in Bangalore bewegt habe. Das Weihnachtsfest, das ich dieses Jahr erleben durfte, war von einem starken Gemeinschaftsgefühl geprägt, bei dem alle das Fest mit viel Liebe und Energie gestaltet haben. Konkret heißt das, dass wir uns im Provinzhaus alle in Gruppen aufgeteilt haben, um die Deko, das Essen und die Liturgie für die Feiertage vorzubereiten, wobei der Hauptfeiertag der 25.12. war.
An Heiligabend wurde aufgelöst, wer welchen Namen als "Christmas Friend" (Weihnachtsfreund) gezogen hat, und es wurden die Wichtelgeschenke ausgetauscht. Danach ging es gelaufen über die Metrobaustelle in die Kirchengemeinde zur Christmette. Als wir danach das Provinzhaus wieder erreicht haben, haben sich alle Bewohner des Hauses (Schwestern, Novizinnen, Aspirantinnen) umarmt und sich gegenseitig frohe Weihnachten gewünscht. Am nächsten Tag, also am 25.12., wurde sehr viel gegessen, getanzt und gelacht. Morgens sind wir zum Altenheim gegangen und haben mit Trommeln, Gesang und Geschenken den Bewohnern des Altenheims ein frohes Fest gewünscht. Abends haben wir draußen neben der Krippe Tänze, Lieder und Sketche vorgeführt. Zum Abendessen gab es leckere "Aloo Paratha" (frisch gebratenes Fladenbrot aus Kartoffeln und Mehl). Danach habe ich mit den Aspirantinnen noch lange die Tänze ihrer Herkunftsvolksgruppe getanzt, da die meisten von ihnen aus Orissa im Osten Indiens kommen. Am Zweiten Weihnachtstag haben sich die Schwestern vom Altenheim und vom Provinzhaus gegenseitig zum Essen eingeladen. Außerdem wurden Weihnachtslieder in so vielen Sprachen gesungen, wie in ihrer Gemeinschaft vertreten sind. Es gab leckeren Weihnachtskuchen (Fruchtkuchen) und hausgemachten Wein (Traube, Ananas und "Rose Apple"). Mit den Schwestern habe ich auch sehr viele Plätzchen gebacken, sodass wir in der Küche einige Tage vor Weihnachten ein Art deutsch-indische Weihnachtsbäckerei eröffnet haben.
Das Weihnachten, das ich dieses Jahr erleben durfte, war zwar anders als zuhause, aber es war mit viel Sonne und Wärme gefüllt (metaphorisch, wie auch dem Klima entsprechend).
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