MaZ: Ich stärke dich, ich erhalte dich

"Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott! Ich stärke dich, ja ich helfe dir, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit." (Jesaja 41,10) Indien ist ein Land voller Religionen. Die absolute Mehrheit sind Hinduisten, gefolgt von Muslimen und wenigen Christen (2 %), Sikhs, Buddhisten und noch vielen, vielen mehr.

In einem der zahlreichen Indien-Reiseführer hat ein Autor mal beschrieben, dass es meist egal ist, an wen oder was man glaubt, aber Hauptsache man glaubt.
Die eigentlich in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit und die Trennung von Religion und Staat kann nicht immer eingehalten werden, was oft zu Problemen unter den Religionen führt.

Jedoch schlägt der starke Glaube leider, so nehme ich es wahr, manchmal auch in Aberglauben um. Dies erkläre ich mir vielleicht durch die niedrige Bildungsrate in Indien. Da es keine Schulpflicht gibt und nicht einmal die staatlichen Schulen kostenfrei sind, können nur Eltern mit ausreichend finanziellen Mitteln ihre Kinder zur Schule schicken. Daraus folgt eine Analphabetenrate von fast vierzig Prozent.
Durch dieses niedrige Bildungsniveau bin ich schon verrückten Vorstellungen begegnet: Krankheiten werden als Gottesstrafe gesehen. Babys, die zu schön sind, werden von bösen Geistern geholt, weshalb sie nicht gewaschen und/oder angemalt werden. Personen die von Krämpfen jeglicher Art gequält sind, sind von bösen Dämonen befallen. Und noch vieles mehr.

Doch was ich wirklich bewundere: Wie sehr den Kranken ihr Glaube bei ihrem schweren Leidensweg hilft. Wie ich im letzten Erfahrungsbericht bereits geschrieben habe, sind drei Viertel der Bevölkerung in Haflong Christen und somit auch die meisten Patienten bei uns, weshalb eine Bibel im Nachtkästchen nicht fehlen darf.
Für jeden Genesungsfortschritt wird Gott gedankt, vor jeder OP oder jeglichem Eingriff wird ein kleines Gebet gesprochen oder zwischendurch einfach mal ein Stoßgebet zum Himmel geschickt. Nach einem sehr schweren Tag kam eine Frau zu mir, hat mir ihre Bibel in ihrer Tribe-Sprache unter die Nase gehalten und auf Jesaja 41,10 gezeigt:
"Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott! Ich stärke dich, ja ich helfe dir, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit."

Die höchste Tuberkulose-Neuinfiziertenrate hat Indien mit fast drei Millionen Menschen, von der Dunkelziffer ganz zu schweigen. Jeder Dritte Inder hat oder hatte einmal Tuberkulose. Infiziert sich ein Mensch durch Tröpfcheninfektion mit Tuberkulose, befällt das Bakterium meist die Lungen. Es gibt aber sehr viele Arten, z. B. Knochentuberkulose oder allgemeine Organtuberkulose.
Wenn man sich mit dem Erreger infiziert hat, sind die ersten Symptome Husten, Kraftlosigkeit und sehr großer Gewichtsverlust in kurzer Zeit. Auch das Immunsystem wird sehr geschwächt, weshalb sich die Patienten oft auch noch mit anderen Krankheiten anstecken, was für den Kranken spätestens dann lebensbedrohlich ist.

Indien wird oft als buntes Land voller Gegensätze beschrieben. Man steht an einem Aussichtspunkt über einer Stadt, man sieht eine schöne Skyline, davor ein riesiger Slum. In einem Restaurant wird sich über das Essen beschwert, davor suchen Kleinkinder im Müll nach etwas Essbarem. Man besucht das wunderschöne, sehr gepflegte Tadsch Mahal, schaut auf den davor vorbei fließenden Fluss und sieht nur Müll. Egal für welche Arbeit, aber man ist schick angezogen.

Doch auch im Land selbst gibt es große Unterschiede: Der Süden gilt als unglaublich entwickelt, die Straßen sind geteert und sauber, staatliche Krankenhäuser haben fast den gleichen Standard wie private und damit westliche. Der Nordosten hingegen gilt als sehr arm, die Straßen sind nicht geteert und staatliche Krankenhäuser so arm, dass sie sich nicht einmal einfache Krankenaktenmappen aus Papier leisten können.

Langsam verändert sich das Klima in Haflong, es wird heißer und die Gewitter und Regenfälle werden heftiger. Der Regen führt nicht nur zu Erdrutschen, die teilweise ganze Dörfer zerstören, sondern verunreinigt auch das Trinkwasser der Menschen. Es trifft die kleinsten der Gesellschaft, Babys und Kleinkinder. Sie bekommen Durchfall, der – für uns kaum vorstellbar – auch tödlich enden kann.

Abgesehen von Tuberkulose und Durchfall, gegen die wir im Moment besonders kämpfen, behandeln wir neben den normalen Krankheiten auch Arbeitsunfälle, welche durch die nicht vorhandenen Arbeitsschutzgesetze, wie z.B. das Tragen von Schutzhelmen oder festem Schuhwerk, oft zu sehr schweren Verletzungen führen.
Ist da nicht die oben genannte Bibelstelle ein unglaublich beruhigender, tröstender und stärkender Spruch?

Nach vielen gestellten Anträgen, unzähligen Briefen und Mails, vielen Ämtergängen, Meetings und Gebeten haben die Schwestern die Erlaubnis für den Bau eines neuen Krankenhauses erhalten. Wie ich im letzten Bericht schon beschrieben habe, ist das jetzige Krankenhaus in einer alten Schule untergebracht. Der Kreißsaal war das Sekretariat, der OP-Saal der Kindergarten. Durch die stetig ansteigende Patientenzahl, die Anschaffung von neuen Geräten und vielem mehr, ist das Krankenhaus zu klein geworden und es hat einfach den Grundriss/Raumaufteilung einer Schule und nicht den eines Krankenhauses.
Als ich im August letzten Jahres angekommen bin, hat das Hoffen auf die Erlaubnis von den verschiedenen Stellen begonnen und nun, ein dreiviertel Jahr später hat das Warten ein Ende. Die Grundsteinlegung wird nach dem Ende der Regenzeit stattfinden und ich hoffe, diese noch zu erleben.
Doch auch wenn nicht: Ich musste den Schwestern versprechen wieder zukommen, wenn das neue Krankenhaus ganz fertig ist, um es mir anzuschauen. Das jetzige Krankenhaus wird dann ganz zur Krankenschwesternschule, denn der erste Jahrgang beendet nun erfolgreich sein erstes Jahr und die Bewerbungen für den zweiten Jahrgang laufen in vollen Zügen.

Während in Deutschland Kirchen geschlossen und Pfarrgemeinden zusammengeführt werden, werden hier neue Pfarreien eröffnet. Bereits Anfang des Jahres durfte ich bei einer solchen Neugründung dabei sein. Eine Pfarrei mit 12.000 Mitgliedern, in der sonntags sogar drei Messen gefeiert werden.
Im Juni wird eine neue Mission der Steyler Missionarinnen in Arunachal Pradesh, dem Staat im Nordosten, der ganz im Himalaya und an der Grenze zu China liegt, eröffnet. Alle Schwestern in der Provinz Nordosten blicken mit großer Aufregung, Stolz und Vorfreude auf diesen Tag, der mit einem großen Fest gefeiert werden wird.

So genieße ich jeden neuen Tag, mit vielen bereichernden Erfahrungen (und Überraschungen), denn in reieinhalb Monaten heißt es schon Abschied nehmen von dem Ort, der einen Teil meines Herzen erobert hat und zu einer zweiten Heimat geworden ist.

- Anna