MaZ: Kunst, Kinder und kleine Katastrophen

Alena ist als Missionarin auf Zeit in Irland und schreibt über ihre ersten sechs farbenfrohen Monate in Dublin. 

Alena bei einem ihrer Projekte in Irlands Hauptstadt Dublin

Seit Oktober 2021 lebe ich in meiner „Omi-WG“ mit drei wunderbaren Schwestern in Dublin. Eigentlich war alles ganz anders geplant. Eigentlich wollte ich nach Mexiko, nach Oaxaca. Das ging wegen Corona nicht. Also Plan B: Birmingham in England. Dagegen legte aber Boris Johnson sein Veto ein und ich konnte aufgrund des Brexits nicht nach England ausreisen. Also Plan C: In Irland in einer Kommunität in Dublin leben und im Frauenhaus Regina Coeli Hostel arbeiten. Da ich mit einer katholischen Organisation unterwegs bin, kam hier im erzkatholischen Irland, niemand auf die Idee, dass ich Protestantin sein könnte. (Zugegeben, es gab auch diesbezüglich ein paar Missverständnisse). Das Regina Coeli Hostel ist eine sehr spannende Einrichtung, die ich aber nach einiger Zeit aufgrund meiner Konfession verließ. Glücklicherweise änderte der Stellenwechsel nichts an meiner Wohnsituation und ich wurde von den Schwestern immer unterstützt.

Mein Einsatz begann also mit einer Reihe kleinerer Katastrophen. Nach längerer Zeit des Wartens und des Suchens nach einer neuen Stelle, kam ich zu meinem Plan D: der Salvation Army. Dort wurde ich furchtbar warmherzig von der Pfarrersfamilie Lennox aufgenommen (siehe die Fotos, auf denen es so aussieht, als wäre meine Familie zu sehen – ich bin mit diesen Menschen aber nicht verwandt).

Nun bin ich jeden Tag der Woche in einem anderen Projekt zu finden. Am Montag arbeite ich in dem Charity-Shop „Saint Vincent‘s de Paul“. Am Dienstag geht’s zu einer English Conversation Group für Migrant*innen, die sich keinen Sprachkurs leisten können und zu einer Krabbelgruppe. Mittwochs und freitags bin ich in verschiedenen Kleinkinderkreativgruppen tätig und am Sonntag helfe ich im Gottesdienst mit und gebe Kindern Tanzunterricht. Ich habe also mit Kindern mehr zu tun als mit Erwachsenen. Dazu kommen noch viele weitere Projekte, die keinem Tag der Woche zugeordnet sind (z.B. Bemalen des Kirchenfensters, Deutschstunden geben…)

Von meinem Donnerstag möchte ich gerne etwas genauer berichten: Wir befinden uns im Granby Lifehouse der Salvation Army, im Teil des Dubliner Zentrums mit der höchsten Kriminalitätsrate. Dort findet eines meiner Lieblingsprojekte statt: Anfang Februar durfte ich einen Kunstkurs ins Leben rufen und leite diesen nun.

Das Granby ist eine Wohneinrichtung für obdachlose Menschen mit psychischen Erkrankungen und Drogenabhängigkeit. Ungefähr 95 Menschen (Männer und Frauen) leben dort - teilweise übergangsweise, teilweise langfristig. Da ich weder ausgebildete Kunsttherapeutin noch Pädagogin bin, ist der Kunstkurs auch weniger Kurs, sondern mehr freies Malen. Bei der letzten Sitzung gab ich das Thema „Peace" vor. Es durfte also alles gemalt werden, was mit Frieden verbunden wurde. (Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es sich bei dem Bild unten, neben den gemalten Zigaretten und dem Feuerzeug, bei dem gemalten Kaffee um fairtrade Kaffee handelt)

Meist habe ich den Menschen leere Leinwände und Farbe hingestellt und sie einfach machen lassen. Klar, die allermeisten brauchen Hilfe (auch bei der Reihenfolge Pinsel in die Hand nehmen, dann in Farbe tunken, dann aufs Blatt), aber sobald der erste Strich überwunden ist, fließen bei den meisten nur so die Ängste und Gedanken aufs Blatt. Es ist beeindruckend, was Menschen alles von selbst „vermalen", wenn du ihnen ein geschütztes Umfeld bietest und sie machen lässt. Ein ca. 60-jähriger Mann setzte sich voller Selbstbewusstsein hin und verkündete lautstark, er wolle nun ein Herz malen und fing munter an, vor sich hinzupinseln. Ich habe mich total gefreut, dass dieser, doch äußerlich sehr dem männlichen Klischee entsprechende Mensch, sich nicht zu schade war, so ein „kindliches" Motiv zu malen. Als er nach getaner Arbeit den Kurs verließ und ich seine Arbeit zum Trocknen aufstellen wollte, sah ich, dass die gesamte Leinwand von einem riesigen roten, gebrochenen Herzen ausgefüllt wurde. So entstehen ganz unterschiedliche Motive: neben Menschen hinter Gittern und gebrochenen Herzen, gibt es auch viele Regenbogen- und Horizontbilder. 

Genauso unterschiedlich sind auch die Menschen: Manche kommen zum Kurs, weniger weil sie Malen wollen, sondern weil sie Redebedarf haben und manche sitzen stumm da und zeichnen konzentriert. So wird von mir neben künstlerischen Tipps und Tricks auch ein offenes Ohr für die Sorgen und Probleme der Menschen erfragt, auch wenn ich weiß, dass ich diese nicht lösen kann. Wieder andere Bewohner*innen prügeln sich fast oder kippen wegen einer Überdosis um – ich hatte für einen kurzen Augenblick wirklich Angst, dass mir eine Frau wegstirbt. Wegen besagter Un(aus)gebildetheit meinerseits muss immer ein anderer Mitarbeitender anwesend sein. Das klappt meistens auch sehr gut und ist auch aus Dolmetschergründen praktisch. Die Kombination aus meist heftigem Dubliner Akzent (ich frage mich oft, ob das noch Englisch ist), oft jahrelangem Kettenrauchen/Drogenmissbrauch und Mundschutz, erleichtert die Kommunikation nicht gerade. 

Ich habe allergrößten Respekt vor den Mitarbeitenden, die sich in coronabedingten 13-Stunden-Schichten um ihre Schützlinge kümmern, die teilweise wieder und wieder rückfällig werden. Wenn ich sehe, mit wieviel Geduld und Humor diese Menschen ihren Job ausüben, wird mir klar, wie wenig ich eigentlich weiß. Mir fehlt zum Beispiel völlig das Gespür dafür, ob das plötzliche Aufstehen und in die Luft um sich Boxen eines Mannes Demonstration eines vergangenen Straßenkampfes ist oder ob sich dieser Mensch prügeln möchte. (Die Sozialarbeiterin neben mir lachte bei dem Schauspiel, es kann also nicht so schlimm gewesen sein.) Die allermeisten Menschen, die meinen Kunstkurs besuchen, sind aber herzensgute, liebe Menschen.

Neben der Arbeit erkunde ich mit dem Fahrrad das wunderschöne Dublin und Umgebung – diese Stadt hat sich wirklich in mein Herz geschlossen und ich möchte hiermit eine dringende Reiseempfehlung aussprechen! Mir war Irland vor meiner Ankunft auch nur ein grober Begriff, aber dieses Land und die Menschen haben es wirklich in sich. Ich wurde nirgendwo sonst so oft auf der Straße angesprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass meine Schnürsenkel offen sind und ich doch bitte aufpassen möge, dass ich nicht hinfalle. Oder aufgrund meines schlecht zu versteckenden, furchtbaren Orientierungssinnes angesprochen und gefragt, ob ich wüsste, wo ich sei und wo ich hinwolle. Einzig das deutsche Brot und die gute alte behördliche Ordnung vermisse ich (ich warte immer noch auf meinen Impfnachweis vom Dezember).

Ich bin sehr dankbar für meine Zeit als MaZ: Selten in meinem Leben war ich so damit konfrontiert, wie privilegiert und was für ein wahnsinniges Glück ich doch habe. Mit der interessanten Mischung aus der modernen protestantischen Kirche Salvation Army und den katholischen Schwestern in der Kommunität habe ich die idealen Bedingungen, um den Glauben zu hinterfragen, theologische Diskussionen zu führen und Gott näherzukommen. Es ist manchmal überwältigend, wenn ich mir überlege, was ich in sechs Monaten alles Neues gelernt habe und wieviel noch da draußen ist, was ich noch nicht begreife. Mit einem irischen Sprichwort möchte ich gerne meine neu erworbenen Weisheiten dieses Reiseberichtes abschließen: 
Is minic a bhí fear maith í seanbhríste. Oft steckt ein guter Mann in zerrissenen Hosen.

Alena