Olá, ich melde mich wieder aus Lissabon! Inzwischen sind schon zwei Monate seit dem letzten Bericht vergangen. Für mich fühlt es sich aber eher wie zwei Wochen an! Die Zeit verfliegt hier so schnell! Ich kann es kaum glauben, dass ich jetzt schon seit fünf Monaten in Lissabon bin.
In den letzten zwei Monaten hat sich allerdings etwas Grundlegendes verändert. So ist Sao Nicolau (meine Einsatzstelle), inzwischen so etwas wie mein Zuhause geworden. War ich anfangs noch so sehr auf den Gedanken fokussiert, die Arbeit dort bestmöglich zu erledigen, geht es mir jetzt auch ganz besonders darum, mehr über die Menschen zu erfahren, die dort arbeiten.
Der Großteil meiner Arbeitskollegen*innen stammt aus Lateinamerika oder Afrika. Wir haben häufig sehr ähnliche Erfahrungen mit dem Alleinsein in einem fremden Land gemacht und sind damit in einer vergleichbaren Situation. Da wir aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen, gibt es jedoch Unterschiede in Bezug auf Glauben oder auch andere grundlegende Lebensentscheidungen. So bin ich doch immer wieder überrascht, wie weit unsere Meinungen da auseinandergehen. Obwohl wir nicht in allen Punkten übereinstimmen, ist Respekt vor der Meinung des anderen immer die Grundlage unserer Gespräche und dadurch gelingt es meistens doch, Gemeinsamkeiten zu finden. Und genau diesen Austausch braucht es meiner Meinung nach, um den Glauben lebendig zu halten und zu zeigen, dass wir letztendlich doch zusammengehören, obwohl wir komplett unterschiedlich erzogen wurden.
In Sao Nicolau sind meine Aufgaben inzwischen ziemlich vielfältig. So bin ich seit Kurzem - neben den Essensausgaben und dem Betreuen von älteren Damen - auch bei der Kleiderausgabe der Kirche eingebunden. Diese ist momentan auch immer ein Highlight für mich. So versuchen die Freiwilligen dort, allen Wünschen der Kleidungsempfänger*innen nachzukommen. Dafür benötigt es sehr viel Feingefühl und Respekt, um die Vorstellungen und auch Ansprüche der Menschen zu erfüllen. Obwohl ich in diesem Projekt neu bin, erkenne ich dort sehr viele Gesichter wieder, die mir schon von der Essensausgabe bekannt sind. Deshalb fühlt es sich noch ein wenig mehr wie in einer großen Familie an.
Allgemein liebe ich inzwischen die Flexibilität zwischen den verschiedenen Projekten wechseln zu können. Anfangs haben mich die unstrukturierten Arbeitszeiten sehr verwirrt. Inzwischen habe ich mich angepasst und ein wenig von dem deutschen Ideal der „perfekten Organisation“ gelöst. Durch die verschiedenen Aufgaben habe ich das Gefühl, das meiste von Sao Nicolau und auch den Aufgabenbereich der „Sozialen Arbeit“ mitnehmen zu können und genieße die Freiheit, für mich selber ein paar Prioritäten setzen zu können.
Während der Woche ist mein Leben durch die Arbeit in Sao Nicolau bestimmt und findet eher in der Hauptstadt Portugals statt. Am Wochenende habe ich das Gefühl, Europa zu verlassen und nach Afrika zu reisen: Der Großteil meines Wochenendes ist geprägt von der sehr afrikanisch geprägten Gemeinde in Casal de Cambra (Vorort von Lissabon, in dem ich wohne). Obwohl ich in dieser Gemeinde erst seit zwei Monaten bin, sind die Menschen sehr einladend und versuchen mich bestmöglich einzubeziehen! Und eines ist sicher: Langweilig wird es in Casal de Cambra nie! Inzwischen darf ich teils zusammen mit einer Schwester, teils alleine, den Katecheseunterricht leiten, das ist eine Art Religionsunterricht am Samstag (Religion wird nicht in der Schule unterrichtet). Die Energie der Kinder ist auf jeden Fall ansteckend und noch einmal ganz anders als meine Arbeit in Sao Nicolau! Außerdem darf ich inzwischen samstags die Lesung in der Kirche lesen und werde in Zukunft von einer Schwester Gitarrenunterricht bekommen, um auch im Gottesdienst, der in einer kleinen Kapelle stattfindet, spielen zu können.
Inzwischen bin ich sowohl in der Pfarrei in Casal de Cambra, wie auch in Sao Nicolau in einer Jugendgruppe tätig. In beiden laufen im Moment die Vorbereitungen für den Weltjugendtag im Sommer 2023 („JMJ“) auf Hochtouren! So war ich zum Beispiel mit der Jugendgruppe von Casal de Cambra Anfang Februar auf einem Vorbereitungstreffen. Und ab jetzt werden wir Kuchenstände aufbauen und auch Messen veranstalten, um unsere Teilnahme am „JMJ“ zu finanzieren und natürlich auf diese ganz besonderen Tage hinzuweisen. Es ist es immer wieder schön zu sehen, wie begeistert und auch stolz die Menschen von der Idee sind, dass der Weltjugendtag in dem „kleinen“ Portugal stattfinden wird. Sie stürzen sich mit sehr viel Engagement in die Vorbereitung!
Auch außerhalb meines Wohnortes (Casal de Cambra) und meiner Einsatzstelle habe ich inzwischen sehr gute Freund*innen gefunden. Mit ihnen zusammen erkunde ich in meiner freien Zeit die Stadt. So ist der Altstadtkern zwar nicht so groß, hat aber sehr viele verwinkelte Gässchen und wir entdecken jedes Mal etwas Neues. Außerdem gibt es viele, teils etwas außerhalb gelegene, wunderschöne Orte und Strände, so dass es jede Menge zu besichtigen gibt!
Über Silvester hatte ich außerdem die Möglichkeit, meine zwei Mit-MaZlerinnen in Madrid zu besuchen und mir ihre Projekte anzuschauen. Das war extremst spannend! So engagieren wir uns zwar in sehr ähnlichen Projekten, aber durch die Menschen, die dort arbeiten und die dort Hilfe suchen, sind die Erfahrungen doch ganz anders.
Eine Erkenntnis, die mich auf jeden Fall durch meinen gesamten MaZ-Einsatz begleitet, ist zu verstehen, wie privilegiert ich aufgewachsen bin. Das war mir zwar bereits vor meinem MaZ-Einsatz bewusst, aber durch die Geschichten vieler Arbeitskollegen*innen und von „Mama Christina“ (die Frau, bei der ich in Casal de Cambra wohnen darf) ist mir das noch deutlicher bewusster geworden! So habe ich mich aus freiem Willen entschieden, für ein Jahr ins Ausland zu gehen, mit dem Wissen, jederzeit in mein Zuhause nach Deutschland zurückkehren zu können. Im Gegensatz dazu, kenne ich hier viele Menschen, die aufgrund von mangelnder Sicherheit, Bildungschancen oder schlechten Löhnen ihre Familie und Heimat verlassen haben; häufig mit dem Gedanken, nicht zurückkehren zu können. Auch hier in Portugal haben sie häufig Probleme und lange Wartezeiten, um die portugiesische Nationalität zu erlangen.
Ich bin immer wieder geschockt davon zu hören, wie gering die Löhne hier sind, obwohl die Unterhaltskosten nur ein wenig günstiger als in Deutschland sind. Dafür prägt die Menschen hier ein ganz besonderes Heimatgefühl und alle halten zusammen.
Ich bin auf jeden Fall unglaublich gespannt, wie sich mein MaZ-Einsatz in Zukunft noch entwickeln wird und bin jetzt schon traurig bei dem Gedanken, dass schon beinahe die Hälfte meiner Zeit in Lissabon vergangen ist!
Ganz liebe Grüße und ganz viele Beijinhos (Küsschen)!
Eure Steffi